Dieses Blog durchsuchen

Donnerstag, 9. Juli 2009

Ein Mythos, der manchen nicht unrecht kommt

Max Weber meint, bei historischer Betrachtung sei das Motiv für politische Zusammenschlüsse im Großverband (wie damals, um die Jahrhundertwende 19./20. Jahrhundert: Reichsgründung Deutschlands) keineswegs so eindeutig gesamtwirtschaftlich zu sehen.

Das ist ein Mythos, der zwar manchem nicht unrecht kommen mag, aber bei genauerer Betrachtung nicht haltbar ist.

Vielmehr meint Weber sei auffallend, daß selbst in der Antike ganz andere Interessensgruppen profitierten, und deshalb primär Motoren solcher Zusammenschlüsse gewesen seien. Am Beispiel Deutschlands war ein Zusammenschluß (Zollverein; Anm.) fast unlogisch, weil maßgebliche deutsche Wirtschaftszweige ihre Absatz- und Wirtschaftsräume ganz woanders hatten, nur nicht innerhalb Deutschlands: in England, in Rußland, in Frankreich.

Aber das Streben nach Pfründen, Ämtern, auch militärischen Karrieren (selbst bei Niederlagen ein fluktuierendes Gewerbe) sei als Motiv nachweislich oft genug maßgeblich für solche Zusammenschlüsse gewesen.

"Bei den großen Flächenstaatenbildungen des Binnenlandes vollends war in der Vergangenheit eine maßgebende Rolle des Güterverkehrs durchaus nicht die Regel." Ja, Weber meint: nicht einmal besonders gut ausgebaute Verkehrswege seien oft zu beobachten gewesen. Historisch ebenfalls eindeutig sei aber, daß Expansionen politischer Machtkörper praktisch IMMER der Gewinnung von Einkünften für den Zentralapparat dienten. Selbst die Expansion des römischen Reiches war ja nicht gerade von der Gewinnung wirtschaftlicher Prosperitätsräume gezeichnet, sondern fast ausschließlich getrieben von Bodenspekulanten, Steuerpächtern und Amtsjägern. Noch deutlicher gilt dies für die persische Expansion.

Als Regel kann gelten: wirtschaftliche Beziehungen waren stets nur die Folge machtpolitischer Vorgänge. Als Regel gilt: wirtschaftliche Beziehungen sind die Folge politischer Prozesse.

Gerade am Beispiel Roms weist Weber darauf hin, daß die dortigen Verhältnisse als beispielhaft für die weitere historische Entwicklung gelten müssen. Hier habe sich ein Wirtschaften entwickelt, das "imperialistischer Kapitalismus" zu nennen sei. "Es sind die kapitalistischen Interessen von Steuerpächtern, Staatsgläubigern, Staatslieferanten, staatlich privilegierte Außenhandelskapitalisten und Kolonialkapitalisten. Ihre Profitchancen ruhen durchweg auf der direkten Ausbeutung politischer Zwangsgewalten, und zwar expansiv gerichteter Zwangsgewalt."

Anderseits sei die späte Phase des römischen Reiches ein Beispiel dafür, wie die Notwendigkeiten des Apparates in Verwaltung und Militär das Aufkommen eines Kapitalismus als Merkmal wirtschaftlicher Prosperität regelrecht erstickten (sprich: das hohe Maß an Staatswirtschaft löschte die wirtschaftliche Eigeninitiative der Bevölkerung aus). Diese Entwicklung hinwiederum befeuert das Kreditwesen, und damit die Einflußnahme der Gläubiger auf die Politik.

Also der Kapitalisten? Falsch gedacht, meint Weber. Vielmehr mutiert das Staatsgläubigertum zum Rentnertum (Staatsrentner, wobei der Begriff "Rentner" nicht einfach ident ist mit "Pensionist"), und schafft somit die Chancen für Kredite (Anleihen) emittierende Banken.

Und ... Rüstungslieferanten, als Interessentengruppen, deren Existenz eindeutig an der Entstehung von Kriegen interessiert ist. Womit sie systemtragend in mehrfacher Hinsicht sind, denn:

"Alle politischen Gebilde sind Gewaltgebilde," schreibt ferner Weber nüchtern in seinem Hauptwerk "Wirtschaft und Gesellschaft". Sie hätten die klare Notwendigkeit wie Natur, sich vor allem nach außen zu behaupten. Praktisch nie sei historisch ein "starker" Nachbar dafür gewünscht weil von Nutzen gewesen: jedes politische Machtgebilde vertrage keine starken Gegner.

Das kommt einem doch angesichts mancher Beobachtungen in Zusammenhang mit dem Verhalten inländischer Politiker und der EU nicht ganz unplausibel vor ...

Aber noch ein anderer Gedanke zeigt sich angesichts dieser Überlegungen gut beleuchtet: Daß die Staaten heute - hoch verschuldet (s. o.) - einen Zusammenbruch des Bankensektors schon deshalb gar nicht dulden konnten, weil damit Staatsbankrotte unausweichlich geworden wären! Denn im Falle eines Bankenzusammenbruchs würden Kredite fällig gestellt. Wie im Falle Islands, Litauens defacto geschehen, bei zahlreichen weiteren Staaten gerade noch abgewendet, bei weiteren aber noch immer im Raum.

Der Kapitalismus sei seiner Natur nach also expansiv, sei also: imperialistisch.

ABER: wer nun meint, Weber plädiere für einen Sozialismus, irrt erneut. Er zeigt vielmehr, daß das Wesen eines Staatssozialismus mitnichten friedliebender wäre. Denn es gibt keine Veranlassung zu meinen, daß nur weil nun andere Schichten - "Massen" - betroffen wären, diese weniger ökonomisch interessiert seien! Vielmehr trage der Güteraustausch in Expansion ein anderes Gesicht. Weber zeigt: Der Schwächere würde über direkte oder indirekte Form zum Tributzahler des Stärkeren. Die (vom Staat nun direkt abhängige; Anm.) "Masse" sei also in diesem Sinne zum "Kapitalisten" geworden, und habe dieselben (aggressiven) Motive, die Stärkung des Systems zum Hauptziel zu haben.




*090709*