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Freitag, 4. September 2009

Eine Metapher der Befreiungsverwüstungen

Es gehört zu den vielen vielen Büchern, die man nicht vergessen haben sollte, die man wieder lesen muß, um so manches von dem, was heute geschieht, aus seinen historischen Wurzeln zu verstehen. Und um so auch zu sehen, wie manche Kräfte, die heute konglomeratartig alles in einem scheinbar unentwirrbaren Knäule überlagern, im Einzelnen aussehen. Und die weit mehr darstellen als jene Geschichte, die sie darzustellen vorgeben, die sogar und nur in der Exaktheit ihrer (gleichermaßen poetischen, dann wieder brutal realistischen, immer aber glaubwürdigen) Schilderungen zur Metapher werden:

Nicholas Monsarrats "Ein Stamm verliert den Kopf" (deutsch 1957) liefert eine exakte Erzählung (der Autor war als britischer Botschafter in Südafrika mit der Problematik rund um die Entkolonialisierung im 20. Jahrhundert intensiv befaßt) nicht einfach nur über den Kolonialismus in seinem Endstadium, sondern das Buch wird zur Metapher auf viele Vorgänge einer Welt, die unter der hehren Fahne der "Befreiung" alles aus seinen Zusammenhängen herausgerissen, isoliert und damit irrational entfesselt hat.

Eine Allgemeinheit der Prinzipien, die vielleicht sogar erst aus der 50-jährigen Distanz erkennbar wird. Und der Wahrhaftigkeit des Buches ein gutes Zeugnis ausstellt.

Feminismus, Emanzipationsbewegungen gleich welcher Art, deren Folgen wir heute inmitten eines wahren Trümmerfeldes auszubaden haben, in ihren historischen Kräften, so erkennt man bald die erzählte Geschichte um einen fiktiven afrikanischen Staat.

Insbesondere die Rolle der Medien, die nämlich keineswegs schlicht "neutral" nur berichten, was "wahr und war", sondern die massiv bestimmt sind von kommerziellen Interessen der Betreiber, und von immer sehr persönlichen Motiven der Journalisten beziehungsweise der Medienvertreter. Die noch dazu in den seltensten Fällen über jene Bildung (im wirklichen Sinn: als Geformtheit in der unbeteiligten, "spiel-, theaterhaften" Wahrhaftigkeitsdistanz) verfügen, auf die sich ursprünglich jede Kunst- wie Medienethik bezog.

(Wobei man vergißt, daß noch vor zweihundert Jahren, rudimentär bis vor wenigen Jahrzehnten sogar, Journalismus eine Angelegenheit einer Schichte war, die man heute als "Klassiker" bezeichnet - Schiller und Goethe, die journalistisch arbeiteten, nur als Wegmarken, worauf diese Bemerkung abzielt).

In "Ein Stamm verliert den Kopf" zeigt Monsarrat, wie eine journalistische Kamarilla, eine regelrechte neue, eigene Schichte von Menschen, die aus oft groteskem Interesse an den Gewissen der Menschen operieren, beginnt, Welt- und Geschichte nicht nur zu beeinflussen, sondern in oft unfaßlicher Unkenntnis und damit Realitätsferne mehr und mehr zu bestimmen, vorzuschreiben, nach welchen Kriterien zu handeln sei. Damit bringen Medien längst verantwortliches (persönliches wie politisch-öffentliches) Handeln in schwere Konflikte, die den Lebenssachen keineswegs dienlich sind, weil sie praktisch ausnahmslos Gleichgewichte und Harmonien stören, und Teile auf neue Art gewichten, die meist nichts als völlige Systemzusammenbrüche nach sich ziehen, jede historisch gesunde, "normale" Entwicklung damit unmöglich machen.

Nur in wenigen Passagen könnte man das Buch der "Thesenliteratur" verdächtigen. Wüßte man nicht, daß menschliche Schwäche tatsächlich und realiter zum Schema verkommenes Menschtum bedeutet. Daß also Schwäche und Irrtum das am Menschen sind, das tatsächlich mechanistisch abläuft, und dem Menschen selbst seine Menschlichkeit, seine personale Ganzheit und sein Geheimnis, nimmt. Wo also die Person zum "Charaktertyp" verkommt.

Ansonsten aber liefert Monsarrat einen weiteren Beweis, wie lohnend es zumeist ist, sich mit einer Literatur auseinanderzusetzen, die heute erst zu dem verkommen ist, was man ihr damals vorwarf: als sie aber noch in Qualitätshöhen auch in ihrem "Massensegment" (=schnöde "Unterhaltungsliteratur") hielt, die heutige "Qualitätsliteratur" oft sehr sehr blaß aussehen läßt. Daß Romane wie "Ein Stamm verliert den Kopf" beitragen, heutige Vorgänge noch besser zu verstehen, indem sie Entwicklungsansätze von Wirkkräften aufzeigen, die heute in voller Blüte stehen.




*040909*