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Mittwoch, 30. September 2009

Kennzeichen des Niederbruchs

Arnold Toynbee meint, daß es drei Merkmale des Niederbruchs einer Kultur (bzw. eines Gesellschaftskörpers) gebe:

  • ein Versagen der schöpferischen Kraft in der (führenden) Minderheit (=Elite)
  • als Antwort darauf ein Rückzug der Nachahmung auf Seiten der Mehrheit
  • und ein daraus sich ergebender Verlust der sozialen Einheit im Gesellschaftskörper als Ganzem.

Ohne es darauf abzustellen, nennt Toynbee damit die Stoßrichtung eine beabsichtigte Zerstörung einer Kultur von außen, die auf die Zerstörung der Vertrauensbasis von Elite und Volk abzielt, und dazu in erster Linie eine Uminterpretation der Geschichte sowie ein Niederziehen der führenden Schichte benutzt.

Diesen Faktor unterschätzt Toynbee damit auch ganz gewiß, wenn er (ca. 1935) schreibt, daß der abendländische Gesellschaftskörper die Kultur der Zukunft sei, die völlig niedergebrochenen übrigen Weltkulturen gegenüberstehe.

Wieder, sein Hegelianismus, unterscheidet der britische Historiker also nicht zwischen den faktischen Erscheinungen und ihrer Substanz, die sich anthropologisch in den Polen Sein und Nichtsein bewegt, sodaß wir es historisch sehr wohl mit "Scheinphänomenen" zu tun haben, die wiederum wesentlich, Hirngespinsten oder Massenpsychosen vergleichbar, dämonischer Natur in Massenmeinungsbildungsmechanismen (Ressentiment als Element des Moralen) entstehen (und vergehen) können.

Denn in gewisser Weise hat Toynbee zwar recht, aber der "Mechanismus", der Technizismus, der eines der Kennzeichen des Abendlandes ist, ist eine seiner größten Verführungen zum Scheitern! Aber nicht als positive, sondern bestenfalls positivistische Schöpfung. Weshalb man den Verlust der schöpferischen Kraft der Eliten im Abendland durchaus um einige Jahrhunderte vorverlegen kann, weil abzuwägen bleibt, ob die immer ausschließlicher technische Entwicklung, der wir seit vier-, fünfhundert Jahren, seit dem Umbruch des Mittelalters, den wir "Neuzeit" nennen, unterliegen (mit der bis in die letzte Menschlichkeit mittlerweile vorgedrungene Umbildung dieser Kultur in Technik und Mechanismen) nicht unfreie Getriebenheit, ja Besessenheit eher denn schöpferischer Genius ist.

Was ja als sicherstes Zeichen des Todesröchelns längst bis in die Religion gedrungen ist, deren letzte Reste an Religio durch Psychotechniken und Effektproduktion praktisch ausgerottet wurden und werden. Womit auch jeder möglichen Regeneration die Versorgungslinien abgeschnitten werden, weil bereits generationenlang das Numinosum der Religion bestenfalls noch in der Dämonie - als Identifikation mit dem Irrationalen - erfahren werden kann, als menschliche wie liturgische Grunderfahrung aber fehlt. Die Entwicklung in Lateinamerika, mit dem Masseneinbruch von freikirchlich-evangelikalen, charismatischen Bewegungen in ehedem angestammten christ-katholischen Bevölkerungsschichten, bestätigt dies (und Toynbee) vollauf.

Ein Technizismus übrigens, dessentwegen das Abendland auch oft verachtet wurde und wird, und zwar auch von Kulturen, die dem Abendland in seiner faktischen Gewalt unterlegen sind. Wohl nicht ganz zu Unrecht.


*300909*