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Mittwoch, 23. September 2009

Wer das Leben nicht lebte, kann es nicht nachfühlen

"Von den Veden, von der Bibel angefangen, können alle Gedichte nur von Lebendigen ergriffen, nur von Lebendigen genossen werden. Ein geschnittener Stein, ein schönes Gewebe gibt sich immer her, ein Gedicht vielleicht einmal im Leben. Ein großer Sophist hat an den Dichtern dieser Zeit getadelt, daß sie zu wenig von der Innigkeit der Worte wissen. Aber was wissen die Menschen dieser Zeit von der Innigkeit des Lebens! Die nicht Einsam-sein kennen und nicht Miteinander-sein, nicht Stolz-sein und nicht Demütig-sein, nicht Schwächer-sein und nicht Stärker-sein, wie sollen die in den Gedichten die Zeichen der Einsamkeit und der Demut und der Stärke erkennen? Je besser einer reden kann und je stärker in ihm das scheinhafte Denken ist, desto weiter ist er von den Anfängen der Wege des Lebens entfernt. Und nur mit dem Gehen der Wege des Lebens, mit den Müdigkeiten ihrer Abgründe und den Müdigkeiten ihrer Gipfel wird das Verstehen der geistigen Kunst erkauft." 

Hugo von Hofmannsthal in "Poesie und Leben"




*230909*