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Donnerstag, 17. Dezember 2009

Big Brother is watching

Natürlich hat das Internet die Public Relation-Strategien völlig verändert. Wer nun meint, das sei alles nur eine Plattform mehr, auf der man Meinungen austauschen, Dampf ablassen, Videos gucken, oder Reisen buchen kann, hat sich etwas geirrt. Das Internet ist etwas wie eine "Extrapolation" des realen Lebens, und es wird noch eine geraume Zeit dauern, bis man es exakt lesen wird können. Immer noch tappt man weitgehend im Dunkeln, und die letzte Schweizer Volksbefragung zum Thema Minarette hat gezeigt, wie sehr man noch daneben liegen kann. Noch ist einfach nicht klar, welcher Instrumenteneinsatz, welche Vorgänge welche Auswirkungen haben. Aber man arbeitet daran. Ernsthaft. Und mit viel Geldeinsatz.

Eine der Sumpfblüten dabei - und keine verzichtbare, sondern eine der drei Säulen, auf denen heutige Medienarbeit steht - sind eigene Medien-Beobachter. Solche wie "www.eclipping.at". Diese und ähnliche Unternehmen überwachen permanent das gesamte Internet (was man sich nur nicht so kompliziert vorstelle - jedem der die Augen ein wenig aufmacht stehen oft sogar recht raffinierte Web-Beobachtungstools zur Verfügung, die erstaunliche Rückschlüsse ermöglichen), und das im Auftrag ihrer Kunden, also absolut "Interessen gesteuert". Und reagieren sofort, zum Beispiel über "Alarmmeldungen". Weil (so steht es auf ihrer Homepage):

Wenn es mal wirklich brisant wird, garantiert dieser Service [der Alarmmeldung, Anm.], daß kein heikles Posting von unseren Kunden übersehen wird. Mit dieser Funktion kann jedes üble Gerücht und jede Verleumdung prompt erkannt und Gegenmaßnahmen getroffen werden. Außerdem ist die Warnmeldung ein wichtiges Indiz für die Richtung, die Ihr Image oder das Ihrer Mitbewerber einschlägt.

Wie wird dann reagiert? Postings. Gegenmeldungen an Presseagenturen oder direkt an die Zeitung (man kennt sich ja!) Artikel. Bilder. Werbeeinschaltungen. Abendessen mit einem Redakteur. Texte von Prospekten und Verkaufsunterlagen. Argumentationshilfen. Einschaltungen "im öffentlichen Interesse" (Werbeinserate der Parteien, zum Beispiel) mit dezent richtungssteuernder Wirkung bei den Medien. Allgemeine Maßnahmen der öffentlichen Wirkung (Preise, Auszeichnungen, Sponsorentätigkeiten) Und so weiter, und so weiter, und so weiter.

Schauen Sie sich einmal die Referenzkunden des oben bereits genannten Unternehmens an:
  • Albertina Museum
  • ARCOTEL Hotels & Resorts GmbH
  • Bayer Austria GmbH
  • Erste Bank der österreichischen Sparkassen AG
  • FAIRTRADE Österreich
  • Falstaff Verlags GmbH
  • Libro Handelsgesellschaft mbH
  • ÖBB Personenverkehr AG
  • Pfizer Corporation Austria GmbH
  • SAP Österreich GmbH
  • Schindler Aufzüge und Fahrtreppen AG
  • Sky Österreich GmbH
  • TUI Austria Holding GmbH
  • Tupperware Österreich GmbH
  • Universal Music, Austria
  • Universal Pictures, Austria
  • VELUX Österreich GmbH
  • Vienna International Hotelmanagement AG
  • Walt Disney Studios Motion Pictures, Austria
Da ist alles dabei. Von NGOs (Fairtrade!) über Pharmaunternehmen bis zu simplen Wirtschaftsunternehmen handbackener Art. Die Parteien haben natürlich ihre eigenen Agenturen, meist zumindest. Und hätten es sicher nicht so gerne, in solchen Listen zu erscheinen. Aber alle sind höchst interessiert, öffentliche Meinungen, Stimmungen, Trends möglichst früh, möglichst in der Phase ihrer Entstehung, oder davor, zu erfassen um darauf zu reagieren bzw. ihre PR-Maßnahmen zu verifizieren.

Oder dachten Sie ernsthaft, daß hinter den Postings Ihrer täglichen Online-Zeitung - nur weil sie so ehrlich und offen sind - tatsächlich Ihnen ähnlich motivierte Einzelpersonen, Privatpersonen stecken, die allen Ernstes an einem Meinungsaustausch interessiert sind? Auch wenn das nicht auszuschließen ist. Aber: Das ist ja heute nicht einmal mehr bei den simplen Redaktionsbeiträgen der Fall - auch die bestehen nach Schätzungen zu längst mehr als 50 Prozent aus Public Relation, vorgeblich und zumindest aus Kostengründen. Darüber spricht man auf Kongressen als "bevorstehende unabdingbare Strukturveränderungen in der Medienlandschaft".

Nahezu alle Zeitungen leben zu einem immer größeren Teil von durch PR-Unternehmen (Imageagenturen, wie eClipping, die PR wird ja längst weit umfassender aufgefaßt als wir es seinerzeit noch im Studium hörten - mit abgetippten Meldungen, etc. ... heute geht es nur noch um Corporate Identity etc.) oder PR-Abteilungen bereitgestellten Artikeln, die man schon seit 25 Jahren (damals war das noch neu) im Stile eines "public interest" durchführt. Dabei also jede Meldung an einem Thema von öffentlichem Interesse aufhängt. Je öffentlicher, also von allgemeinerem Interesse das wirkt, desto erfolgreicher ist diese PR. So verbindet der Botschaftsempfänger Unternehmer oder politische Anstalt mit bestimmten Gefühlen, Inhalten etc.

Also: Pfizer (um nur so ein willkürliches Beispiel herzunehmen) macht nicht "Werbung für die Anti-Baby-Pille!" Ach, wo denken Sie hin, wo leben Sie! Pfizer startet eine Kampagne zur weiteren Modernisierung des heutigen Lebens, zur Steigerung des Lebensgefühls durch einen Urlaub zu zweit in Timbuktu; sponsert die SPÖ Liesing bei der Durchführung von Frauenberatungen und postet zu jedem Thema im 'Standard', das nur irgendwie mit diesem Thema - Empfängnisverhütung - zu tun hat, um das Meinungsklima dafür aufzubereiten. Und Pfizer bezahlt jährlich 10.000 Euro (metaphorisch gemeint, der künstlerischen Phantasie entnommen) für eine Tafel am Aufgang zum Brahmssaal. Und das ist nur ein kleiner Ausflug in dieses Thema! Wobei: wir leben in Österreich, nicht vergessen ...

Aber auch hier wird längst heiß gekämpft. Beobachten Sie zum Beispiel nur, was sich in den Medien (ausnahmslos) tut, wenn ein Thema (suchen Sie sich eines aus, man braucht meist nicht einmal viel Intuition, um diese Zusammenhänge zu erfassen) im Parlament zur Debatte steht. Oder ein Kongress in ein, zwei Wochen stattfindet. Oder der "Tag der Frau" oder der "Tag des Weltklimas" oder der "Christopher-Street-Day" etc. etc. "Zufällig" werden Sie dann Tage, Wochen vorher, in exakt abgestimmter Strategie, Meldung über Meldung, Informationen aller Art, Bilder, Farben ... an alle Ecken und Enden entdecken, die je nach Strategie das Feld beackern, und natürlich ein bestimmtes Klima erzeugen sollen, das für die Auftraggeber dieser Agenturen (sowas macht ja kaum noch jemand selber) günstig wirken soll.

Na selbstverständlich geht das bis hin zu lächerlichen Details wie "Anzahl der Postings" oder "Bewerten des Postings". Kein Parameter, das da vergessen wird, es sind Profis! - alles wird verwertet, analysiert, in eine Strategie umgesetzt. Speziell NLP - eine Art Technik (!) der Phänomenologie - hat hier wahre Revolutionen bewirkt.

Und selbstverständlich, aus der Natur der Sache heraus, sind es vor allem linke Meinungen und Haltungen, die so intensiv beackert werden ... denn die Linke braucht die apodiktische Behauptung, dieses Setzen, weit dringender als die Rechte. Und unaufhörlich. Denn immerhin steht die Wirklichkeit gegen sie. Weshalb die Vorstellung, daß vor allem die "reichen Kapitalisten" solche Agenturen beanspruchen, Schnee von übervorgestern ist. Greenpeace ist heute zum Beispiel ein einziger PR-Konzern von riesigen Ausmaßen.

Also, posten Sie, tauschen Sie ihre Meinungen weiter aus, im Zeitalter des so großartigen, demokratischen Web 2.0. Dort sitzen sie dann, die Cerberusse der Web-Beobachtungsstellen mit ihren Kundenaufträgen, und greifen sofort ein, viel geschickter als Sie es sich vorstellen können, weil an keine allgemeine Ethik gebunden. Denn ihre Ethik ist die Wahrung des vordergründigen Interesses ihres Kunden. Immerhin kassieren sie dafür dicke Gelder, denn so, so werden Meinungen und Haltungen gemacht.

Selbstverständlich wird auch dieses Blog beobachtet. Das nachzuverfolgen ist kinderleicht, und Google liefert dazu beste Eckdaten. Das läßt sich somit je nach Thema vorhersagen und feststellen, sogar zurückverfolgen. Das ist so, und damit lebt man. Diese Internetseiten, als deren Bestandteil dieses Blog zu sehen ist (Impressum), verstehen sich ja als publizistisches Medium. Es ist also deren Aufgabe, wahrgenommen zu werden. Außerdem: wir leben in Österreich, da muß man so etwas nicht dramatisieren. Hierzulande fehlt die Größe, aber auch deren Format.

Was sich aber erst bei Facebook (etc.) und Twitter abspielt und noch abspielen wird, dazu dürfen Sie nun ihre Phantasie alleine weiterspinnen lassen. Wer einmal erlebt oder beobachtet hat, wie menschliche Intelligenz es schafft, auf simplen Bedürfnisstrukturen und Leidenschaften aufbauend (wo, staunenswerter Weise, das Menschenbild noch ziemlich abendländisch zu sein scheint - da sind sogar speziell die Russen Weltmeister!), Wahrnehmung und Wirklichkeitsbild völlig zu düpieren, der staunt ohnehin nur noch ...




*171209*