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Dienstag, 26. Januar 2010

Wenn keiner mehr zu denken vermag

Professor Reimer Gronemeyer aus Stuttgart erzählte auf SWR2, daß ein Problem auf uns zukommt, das bisher viel zuwenig berücksichtigt wird: weil die Gesellschaften in Europa völlig überaltert - im Jahre 2050 werden in Europa 70 Millionen Menschen über 80 Jahre alt sein - sind, zum einen, kommen enorme Kosten auf die Sozialsysteme zu. Zum anderen aber sieht er das größte Problem ... in der riesigen Anzahl Demenzkranker, die zu versorgen sein wird. Es wäre naheliegend, daß wenn man die Ökonomie als Letztentscheidungskriterium gelten läßt, "Entsorgung" zu einer gefährlichen Versuchung wird.

Bereits heute ist jeder Vierte in Deutschland über 60 Jahre. In wenigen Jahren werden in Deutschland allein zwei Millionen Menschen über 80 sein, die an Altersdemenz leiden. Für ganz Europa spricht man derzeit schon von 24 Millionen.

"Man könnte meinen, daß die großen Herausforderungen Europas in naher Zukunft nicht ökonomischer, sondern sozialer Natur sind."

Viel, meint Gronemeyer, wird davon abhängen, wie wir mit dieser Frage umgehen - noch hat niemand ökonomisch dafür Lösungen parat.

"Die Demenz ist die Rückseite der Medaille der ungeheuren Beschleunigung, mit der wir leben. Eine Gesellschaft in diesem Tempo, in dieser Informationsgeschwindigkeit, braucht sich nicht zu wundern, daß es mehr und mehr Menschen gibt, die den Verstand gewissermaßen bei der Garderobe abgeben. Demenzkranke, in ihrer Verwirrtheit, in ihrer Unfähigkeit zu erinnern, mit dem heutigen Leben umzugehen, sind das genaue Gegenteil dessen, was heute als so wichtig verlangt wird, das kann kein Zufall sein: sie sind die Opfer, die nicht mehr mithalten können. Sie sind vielleicht sogar die Heilligen der Zukunft, auf ihren Schultern ruht das Leid unserer Zeit und der Zustände der Gesellschaft.

Es liegt nahe, daß die Furcht vor dem Umgang mit Demenz mit der Kälte unserer Alltagsbeziehung zu tun hat. Denn wenn eine Verhäuslichung der Pflege der Demenzkranken erfolgt, wird das Familienumfeld häufig überfordert - der Umgang mit Demenz braucht offene, wohlwollende soziale Umfelder. Denn es ist derzeit nicht vorstellbar, wie die so enorm zeitaufwendige und zuwendungsintensive Pflege durch öffentliche Institutionen finanziert werden soll. Wir werden zwar eine immer ältere Gesellschaft, aber die Bereitschaft dafür auch mehr Geld auszugeben wird möglicherweise nicht im selben Maß wachsen."

Ob nicht eine völlig andere Aufgabe auf die ältere Generation selbst zukommt - nicht die Reise nach den Malediven und Afrika als Ruhestand, sondern die solidarische Pflege der Demenzkranken durch Alte selbst? Sodaß die Frage nach dem Sinn des Lebens, der wir vielleicht das ganze Leben ausgewichen sind, der Hingabe an den Nächsten - uns im Alter einholt.


*260110*