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Montag, 15. Februar 2010

Haltegriffe der Dämonie - Zum Verständnis von "Die Dämonen" von Heimito von Doderer

Was ist das, was man empfindet, verabschiedet man sich das Buch zuschlagend von der letzten Seite dieses Monumentalwerkes? Was ist das für eine seltsame Unruhe, was aber auch für eine Süße und Lebensfülle, an der man teilhatte, und was aber doch auch wieder für eine Verwirrung, fast, die in einem stattfindet? Wie bekannt ist einem anderseits doch alles, sodaß man allem Einzelnen gegenüber sagen muß: es ist wahr, es ist Leben?!

Ist es aber nicht eher eine Verstörung, weil man dieser Gesamtwelt, in die man einen Blick getan hat, keines der bekannten einfachen, rasch verfügbaren Muster entnehmen, oder (!) überstülpen kann?

Begegnet einem in "Die Dämonen" nicht etwas, das man in Doderers (vom Buchhandel so genannten) Hauptwerk (das aber doch nur jenes Werk ist, mit dem er bekannt wurde, er selbst sieht es als "Rampe" zu "Die Dämonen") noch zurückgedämmt erfuhr, auch wenn es da durch Türen und Fenster und Ritzen längst dräute, aber noch eben erst nur das?

Steht man der Welt in "Die Dämonen" von Heimito v. Doderer diesem nun gegenüber? Aber weitet sich damit nicht etwas? Steht man damit diesem Buch nicht in derselben Weise gegenüber, wie der Welt an sich? Die einem doch auch als außerordentlich komplexes Zueinander von jeweiligen menschlichen Handlungen, Schicksalen, Zustoßungen entgegentritt?

Oder ist es so, wie B meinte, nach erfolgter Lektüre, und gewiß mit leicht ironischem Unterton, daß er (nach langem Nachdenken) wisse, warum das Buch so heiße: die Notwendigkeit, sich je und je aufzuraffen, an diesen 1350 Seiten weiterzulesen, sei für den Leser selbst eine Entdämonisierung seines eigenen Lebens, gebe diesem Leben Struktur und Ziel.

Ob es nämlich nicht genau umgekehrt ist? Alle beflissene Kleinbürgerlichkeit, die meint, sich in simplen, begrenzten Modellen erschöpfen zu können, wo das Leben selbst in überschaubare Mechanismen baukastenartiger Dimension gezwängt wird, um garantiert zu gelingen - ist nicht genau das die Dämonie, die Doderer darstellt - nicht (wie in seinen nicht weniger dicken Tagebüchern und Kommentaren) erklärt? Muß nicht jeder Versuch, die Welt in ihren Dimensionen zu verkleinern, auf ein abgezirkeltes Regelspiel zu reduzieren, dort genau enden ... zur Dämonie gerinnen, wie Welt zur Vergötzung werden.

Begreift man seine Dämonen nicht gerade aus diesem Blickwinkel als DAS Werk, das Doderer schuf? (Und er selbst hat es ja immer auch so gesagt - alles andere sind ja nur "Rampen", vorarbeiten: man arbeite ja nur an einem einzigen Werk!) Erscheint einem nicht sogar die Strudelhofstiege als im Rang um eine ganze Dimension unter den "Dämonen"? Begreift man nicht, warum Doderer das ja auch selbst so verstand?

Wenn man "Die Dämonen" begreifen möchte, erschließt sich dieses Buch erst ab dem Augenblick, an dem man resignierend erwachsen wird, weil die Kraft hat zur Kenntnis zu nehmen, daß einem (wie in diesem Buch) die Welt in einer Universalität entgegentritt, wie sie - und nun greift Bewunderung Platz - nur noch bei den allerwenigsten Büchern, vielleicht sogar nur noch bei der Bibel, erreicht ist.

Die Welt ist nicht ein simples Schachspiel, das hier die Regeln, dort die Ergebnisse hat. Alle Einzelteile sind in sich stimmig, gewiß, kausal, gewiß, begründbar - aber da gibt es in allem diesen Faktor der Freiheit, des schöpferischen Willens, der alles in eine Würde hebt, an der jede Teilwissenschaft, die sich zum Ganzen überhebt, zum Wahn vertrocknen muß. Und erst in dieser Dimension wird die Welt - zur ganzen Welt! Die Katharsis von "Die Dämonen" (und das Buch hat eine) liegt viel tiefer, liegt fast ... im inkarnatorischen Bereich des religiösen Kultes, im Hier und Jetzt. Es ist somit auch genau nicht die Irrationalität entschränkten Fühlens wie in der Esoterik!

In diesem riesigen, für den Menschen nur noch staunend zu bemerkenden Getriebe hat nur ein Gott noch alle Macht und allen einheitlichen Willen, und damit dessen Fumus, die Poesie, die Dichtung, als Zelebration der universalen Welt. Die Welt ist nicht sich selbst Zweck, ihr Sinn und ihr Ganzes ist nicht in durch Logik zu Mechanismen und Abläufen reduziert zu finden, in allem womit wir uns als lebendige Wesen im Alltag befassen, was uns so das Leben und die Zeit "füllt" und das wir so wichtig nehmen, daß es rasch zu "Allem" wird - diese Aussage kann man nach den Dämonen zu allererst treffen, die sich ja einer Nacherzählung, trotz so vieler Ereignisse, Berichte, Erzählungen ("Chronist" nennt sich Doderer selbst darin) völlig entziehen, eine solche zerfällt scheinbar - wie in der Welt - in Episoden, in Kapitel. Es gibt nur einen Weg, der alles in sich faßt, und dort liegt auch er "ordnende Gesamtsinn" des Buches - die Transzendenz. "De profundis" beten die beiden, als sie vom Fenster aus die Vorgänge vorm Justizpalast beobachten, und ein Mann stirbt ... Das schwebt über allen Vorgängen, auch wenn es so selten explizit an die Oberfläche tritt.

Vorgänge, die gewiß in sich eine Kausalität und Wirkung haben! Universalität, und hier begreift man sie, wenn man möchte, hat ja nichts mit "Chaos" zu tun! Aber mit Übersteigen. So verstehbar, so motiviert ihre Einzelteile sind - das Ganze ist nur noch staunend anzuschauen, es ist in etwas alles Übersteigendes getaucht, und - im religiösen Kult, im Gebet wird es so deutlich - gegründet.

Das Weltganze übersteigt (nicht: verhindert, oder: düpiert!) menschliches Verstehen - eben um eine Dimension, die Dimension des Universalen, des Alles, des Seins, eben Gottes. Jeder Versuch, die Welt "darunter" erschöpfend (!) zu gliedern, zu "erklären" als unserer Dimension anzupassen, hat historisch belegbar in Dämonie geendet. Die Geschichte Österreichs beweist es, gerade in seiner Geschichte der Vorgänge um den Justizpalastbrand (als Zeitraum, in welchem das Buch sich bewegt). In einer Phase, in der die Geordnetheit der vorigen Welt zerfallen war, und jeder Rest weiter aufgelöst wurde, während und weil alles neue Haltegriffe suchte, während die Herausforderung viel totaler war, sich aufs Ganze richtete. Gerade in Österreich, übrigens.

Eine Dimension, an der nur der Dichter gnadenhaft ... teilhaben kann. Als Leihgabe.

Unter diesem Blickwinkel erschließt sich plötzlich eine ganze Zeit neu, weil sie erstmals verstehbar, eben der Dämonie entrissen wird, ohne sie zugleich in rationalistische Schemen - wie es alle Ideologien auf so verabscheuenswerte Weise und mißbräuchlich taten und vor allem: tun, die Linke, die Rechte - wieder zur Dämonie festen Erzes erkalten zu lassen. Überall mit dem einen Zweck: die Insecuritas zu vermeiden, diesen - und sei er noch so schmal - dunkelen Abgrund, der sich vor jedem frei gesetzten Schritt auftut. Wo sich der Mensch lieber an abgrenzbare Kunstwelten hält, als diese ständige Offenheit dem Geheimnis der Welt gegenüber, die sich nur schenkt, nicht usurpieren läßt, zu ertragen. Die von ihm verlangt, sich auch - aber eben: nicht nur - in dieser Zerbrechlichkeit zu tragen.

Erst so, aber dann wirklich, wird "Die Dämonen" von Doderer zu einem wirklichen Schlüsselwerk Österreichs, ja des Verstehens des Heute dieser ganzen Welt. Der Autor bricht weitgehend letzte Beengtheiten, die "Die Strudelhofstiege" noch so konsumgerecht (und damit marktgängiger, weniger verstörend, aber auch ... weniger vollkommen!) machten. Er bricht zu seiner wirklichen Symphonie durch - und diese Leistung ist Doderers wirkliche Lebensleistung, als Frucht eines Lebensweges als Dichter hin zur Universalität, das physisch nur noch in der "Unvollendeten" (dem letzten Roman als "Werk Nummer 7", von dem nur noch "die Wasserfälle von Slunj" als Teil "fertig" wurde) enden kann.

Ab hier erhellt sich damit alles theoretische Aussagen Doderers selbst, seine scheinbar grüblerische Auseinandersetzung, die als Entdämonisierung exemplarisch für die Auseinandersetzung jedes Dichters, jedes Künstlers, ja jedes Menschen (denn der Künstler ist Vollbild des Menschen an sich) ist. Und der in jahrzehntelangem Mühen das "Historische" Gespinst der Zeit als "Zweitwirklichkeit" im Entlarven aus seiner Gestalt löste, sich damit selbst befreite. Denn der Lebensweg des Künstlers ist ein solches mühevolles Ringen aus allen Dämonien heraus - in die Universalität ... als Werkzeug eines alles umfassenden, aus Liebe und Freude schaffenden Gottes.