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Samstag, 13. Februar 2010

Leben als Hingespanntheit

Es scheint ein taugliches Bild, das Leben und alles Lebendige als abgeschlossene Systeme zu sehen, deren Existenz vom Herstellen der Harmonie abhängt, die durch jeden Kontakt mit der Welt gestört wird.

So wird persönliches Wachstum (hin zur Erkenntnis) faßlich - als Anpassungs- und Ausgleichsprozeß, als Reaktion auf Disharmonien. Und so wird die Unruhe verständlich, die jeden dort erfaßt, wo Unausgewogenheiten, Abweichungen vom Urbild, das zugleich ein Zielbild und Maximalbild ist, existieren, die nichts sonst anzeigen als Abweichungen von der Natur - dem, wozu man geboren ist.

Leben wurde vielfach überhaupt daran erkennbar gesehen, daß es in einem Verband von Zellen und Organismen eine zentrale Mitte gibt, von der aus, und auf deren Bestand hin, sich jedes Einzelsystem regelt. Leben somit als das, was rein mechanische Vorgänge, die ohne "Reiz" zum Tode erlahmen würden, "transzendiert" und "entmechanisiert", und erst damit (sic!) sich selbst initiiert ...

Aber nicht als "statischen Ausgleich" darf das vorgestellt werden, sondern als Aufspeicherung von Energie in der Spannung, als Hingespanntheit auf Ausgleich, in Erzeugung neuer Differenzen und neuer Gefälle. Genau da unterscheidet es sich ja von der Entropie (als Zustand eines anorganischen Systems, dem keine Energie zugeführt erhält, und damit zerfällt), das ("tot") diese Energie entwertet.

Im Toten fällt die Materie wieder in ihr Für-sich-sein zurück, ihre Entselbständigung hat ein Ende, die Regulation der Teile, ihre Eingliederung in ganzheitliche Wirksamkeit hört auf. (Es hat eben hohe metaphorische Kraft, was sich da an Bildern auftut!)

Im Lebendigen nur wird an sich Heterogenes zu einer (relativen weil relationalen) Gesamtharmonie zusammengefaßt. Indem "das" Lebende sich der Materie bedient, nur insofern aus ihr steigt: es hebt die chemisch-physikalische Gesetzlichkeit als Strukturgesetzlichkeit innerhalb lebender Organismen nicht auf, sondern vertieft sie sogar. Während aber in der anorganischen Welt bloß ein Aufeinanderwirken der Teile vorliegt, nimmt ein lebendiger Organismus bereits vorgeformte Teile in sich auf. Die Gesetze der anorganischen Stufe werden zu Faktoren der höheren Seinsweise des Lebens (Vinzenz Rüfner).

Lebendiges verharrt (anders als Anorganisches - in der Physik) in einer Seinskontinuität, selbst wenn seine Bestandteile völlig ausgewechselt sind (im Stoffwechsel immer in gewissen Perioden), und selbst wenn ein Lebewesen seine Gestalt mehrmals wechselt (Ei - Larve/Raupe - Schmetterling). Leben muß also über alles Materielle Hinausgehendes sein, es muß eine darüber hinausgehende, (relativ) selbständige Substanz sein, die Materie in ihren Dienst zwingt.

Weder bei Sternenbahnen noch bei den Elektronensystemen besteht Veranlassung, eine solche einheitliche, in dem System selbst liegende Bestimmtheit anzunehmen. Es handelt sich also hier um eine höhere und straffere Individualität, die eine Reihe von Selbsttätigkeiten aufzuweisen hat - Selbstaufnahme des Stoffes, Selbstassimilation und Selbstdissimilation, Selbstwachstum, Selbstregulation etc. (Vinzenz Rüfner).

Je höher aber die organischen Formen sind, desto größere Bedeutung gewinnt das Zentrum, das dem Ganzen des Organismus dient, ja, ihn sohin definiert. Diesen "ganzmachenden Faktor" bezeichnet Hans Driesch (in Eingrenzung nämlich von Aristoteles, der den Begriff auch auf das Anorganische ausdehnt) als Entelechie. Eine "psychoide" Kraft, das alle Teile von einem statisch-toten in ein dynamisch-lebendiges Gleichgewicht überführt. 

Rüfner faßt so zusammen: "Die Entelechie ist also eine innerlich übergreifende Macht, die die Teile auf eine strengere Individualität hinlenkt, sie in ein gliedhaftes Dienstverhältnis zum Ganzen zwingt, und dies um so mehr, je höher der Organismus steht, bis schließlich der psychoide Faktor von der Psyche ganz in den Dienst genommen wird. Eine lebende Zelle besitzt schon etwas von dem, was im eigentlich Seelischen der "Ich-Ton" genannt wird."

Lebendes, das also entelechial wirkt, sich in den Raum hinein (damit Raum "schaffend") entfaltet, kennzeichnet sich nicht durch die Materie selbst (die in der Physik ja nur quantitativ erfaßt wird - aber Lebendiges ist kein Kriterium der Menge als solche), sondern durch die Ordnung, in die es Materie bringt. Dadurch unterscheidet sich ja Totes vom Lebendigen, Totes zerfällt, seine Materie desintegriert sich aus der Ordnung des Ganzen.




*130210*