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Samstag, 27. Februar 2010

Suche nach Gott

Ich habe lange darüber nachgedacht, was hinter dem Umstand stecken könnte, daß vielfach dem heutigen Menschen - allen lautstarken Beteuerungen und Hinweisen auf die großartigen Wissenschaften, auf deren Boden man sich angeblich befände, zum Trotz - eine rationale, eine verstehbare Welt so überaus zuwider scheint. Man kann meist geradezu warten darauf, daß, nachdem das Gegenüber sich in mühsamen Diskussionen auf Vernunft, Wissenschaft und Verstand bezogen hat, sein Gesicht mit einem Male aufleuchtet, und er Neuigkeiten aus der Welt des Tischerlrückens, Pendelns, oder eines Yogi verbreitet und mit bislang brachliegenden Fähigkeiten des Menschen zu Überirdischem und -sinnlichem "erklärt". Gerade also in einer Welt, die behauptet alles restlos aufklären zu können, braucht es offenbar einen Ausweg, eine Fluchttür. Wissenschaftlich freilich abgesichert, denn auch das nicht Erklärbare wird ja irgendwann wissenschaftlich geadelt, also lassen wir es durchaus gelten ...

Wo immer sich sonst klare Sinnzusammenhänge über das Weltgeschehen zeigen, unter einfacher Berufung auf die sens ratio, den gemeinen Hausverstand, stößt man aber auf Ablehnung. Wer heute dummerweise nicht in der fatalen Lage ist, an der Sinnlosigkeit der Welt zu zerbrechen, wird meist sogar als irrelevant, seine Geschichten, die ihm Welt abbilden als konstruiert, deren Motive als vordergründig abqualifiziert. Dabei sind sie genau das nicht, ja genau das Gegenteil ... sie sind nur eines: erhellend. Weil sich nämlich das Leben selbst regelrecht auflöst in ganz bestimmte Grundbewegungen, die in den jeweiligen Menschen nie wiederholend variieren. Das Leben ergibt letztlich, schon gar in seinen großen Verläufen, immer eine einfache, ja geradezu simple Geschichte - und ist doch so unergründlich. Heute denkt man es ja genau umgekehrt.

So wird eben Irrationales gewählt, verlangt, und zur "Tiefe" um- und mißdeutet - dabei besteht ein fundamentaler Unterschied, ja verhält es sich geradezu diametral: Denn das letztlich Unerklärbare der Welt bedeutet keineswegs, daß sie in ihren undurchdringlichen Erscheinungen (denn alles Ganze, und alles was etwas ist, ist ein Ganzes, ist ein Geheimnis, und sein Entstehen ist ein solches) zufällig oder irrational ist! Genau darauf aber, genau darauf zielt die heutige Sucht nach Irrationalität. (Sieht man davon ab, daß sie dem Dummen willkommener Fluchtweg ist, was alle Tendenz natürlich verstärkt.)

Gilbert K. Chesterton, dessen Lektüre häufig wie ein frisch durchblutender Kopfstand wirkt und das Beobachten von Kindern, die die Augen schlossen und sich durch den Raum tasteten, brachte mich auf die Spur: Es hat mit der Suche nach Gott zu tun.

Denn das ist zum einen ganz gewiß darin begründbar, daß eine verstehbare, also eine deutbare Welt auch Anforderungen stellt, denen nicht zu entfliehen ist: Sie ist ein Aufruf an unsere Verantwortung, und sie ist es immer in unserem nächsten Umfeld. (Denn gegen Metatheorien besteht ja kein Einwand, im Gegenteil - sie werden gesucht: Da interessiert, ob United Fruit die Bananenbauern in Ecuador trietzt oder ein Tsunami in Japan aufgrund von Ölbohrungen im Marianengraben entstand, oder - das kann doch sowieso niemand nachprüfen! - ob und warum die Nesselqualle ein direkter Vorfahre der Kuduwanze ist.) Verstehbare Welt bedeutet auch Mühe, die Mühe der Reflexion bedeutet Auseinandersetzung mit dem eigenen Gewissen, den ständigen Versuchen sich zu überrumpeln ... und hier haben wir das Stichwort!

Denn es hat diese Suche nach dem Irrationalen, diese Sucht nachgerade (Horrorfilme prosperieren!), noch einen anderen, und ganz entscheidenden Grund, der durch den Lärm der Ablehnung gerne verborgen bleibt. Und das soll auch so sein, denn ...

... die Suche nach dem Irrationalen ist ... eine direkte Suche nach dem Erlebnis Gott, nach Gott überhaupt - und sei es ein Ersatz. Denn der Mensch sucht nie Gott. Der Mensch sucht das Mysterium - das ist zutiefst menschlich. Der Rest ist Interpretation, auf der Basis von Offenbarung.

Denn erst, wenn sich der Mensch in einer Umgebung findet, die ihm völlig unbekannt ist, kann er sich von sich selbst (!) lösen, und muß das ihm Zustoßende nicht mehr auf ein längst bekanntes mechanisches Weltgeschehen oder den Zorn des Herrn Tröltsch zurückführen, sondern ... dann erst gerät er in Kontakt mit einem Mysterium!

Inmitten einer Welt, die ihm nunmehr zustößt, die er nicht mehr zu ordnen, nicht mehr zu beantworten hat, die ihm völliges Mysterium bleibt und dies bleiben darf, erfährt er am deutlichsten, so hofft er, Gott, den Ursprung allen Weltgeschehens.

Es ist ja mehr als auffällig, daß gerade diejenigen, die am meisten auf dem Postulat der Wissenschaftlichkeit beharren, in zentralen Fragen des Lebens - oft auf unfaßlich plumpe Weise! - das wirrste Zeug glauben und annehmen, und häufig einen direkten Zug zu Horror, Esoterik, Psychotechniken, Verschwörungstheorien, Marsmenschentheorien, fremdartigen Religionen mit rein mythologischen Weltbildern, völlig unsinnigen Weltentstehungsgeschichten denen sogar die künstlerische Qualität der Mythen fehlt, weil sie in technische Vorgänge aufgelöst sind (genau so läßt sich erklären, daß der Aberglaube der Evolutionstheorien - wären sie wenigstens das: Theorien! - sich so derartig verbreitet hat) und was auch immer haben.

Der Irrationalismus ist somit die Abenteuerlust der Gegenwart. Er ist der letzte Kick des Lebens, nachdem alles bereits bekannt und gekannt ist, der diesem Leben noch irgendetwas abgewinnen soll. Er ist die Droge einer technizistischen Zeit. Er ersetzt daß die Kirche überhaupt kein Mysterium mehr anbieten möchte, sondern gerade denselben Fehler gemacht hat wie ihn alle machen - stattdessen alle ihre Güter in Rationalität und zwischenmenschlicher Technik versucht hat aufzulösen.

Und wir stellen im Irrationalismus die Welt wieder auf Distanz, wir lassen sie uns (scheinbar wieder zustoßen. Denn der Begriff Gott hat nun einmal mit Unvorhersehbarkeit und Willkür und Macht zu tun.

Der Irrationalismus ist somit die synthetische Herstellung einer damit wieder wunderbaren Welt, die Psychotechnik des Mysteriums, er ist die herbeimasturbierte Pseudo-Gotteserfahrung, er ist ein jeweils (oder, im Irrsinn, zur Haltung gewordener) zu setzender menschlicher Akt: das Aussteigen aus der Welt.

Es ist der Gestus der Gegenwart. Als Aussteigen, das Entfliehen aus der ersten wirklichen Gotteserfahrung, die uns ab ovo zugängig ist: dem Hineingeworfenwerden in eine konkrete Umwelt, in eine konkrete Familie, in konkrete Lebensumstände - denn dort ist tatsächlich alles Abenteuer, und uns von Gott unbegründbar zugestoßen. Denn die Familie ist das größte Mysterium, und es begrüßt uns gleich beim Eingang zur Welt.

Deshalb hängt Gottlosigkeit (keineswegs in moralisierendem Sinne gemeint!) immer auch mit Boden- und Wurzellosigkeit zusammen.

Und es ist logisch, daß Irrationalität zur Zwangsvorschrift einer Gesellschaft im Absturz wird.

Und es ist nur noch logischer, daß genau das von der Kunst, von den Machthabern verlangt wird, soll sie (materiell) überleben können. Denn nichts würde das heutige System mehr in Frage stellen und umwälzen, als die simple Nachricht: Stell Dir vor, es gibt doch einen Sinn, den es zu erfüllen gilt ...



Bilder Nebel 1 & 2, © Mario Lehwald