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Freitag, 19. Februar 2010

Vom Übel der Überzeugungslosigkeit

Die schlimmste Bedrohung des Abendlandes, so schreibt einmal G. K. Chesterton, gehe nicht von den Häretikern und Ketzern aus, von jenen, die auf der Grundlage von Überzeugungen selbst ihr Leben riskieren. Vor denen sollte man immer nur den Hut ziehen, ehe man sie, einem absurden Brauch folgend, auf den Scheiterhaufen bringt, auf dem sie dann ihr Leben zur Blüte und ihren Namen in die Geschichtsbücher bringen können.

Unendliche Male schlimmer ist das Auftauchen (und hier trifft er sich mit Ortega Y Gasset) des überzeugungslosen Zynikers, des verantwortungslosen "Twen" (wie ihn Richard Kaufmann in seiner Studie zur Nachkriegsgeneration "Gebrannte Kinder" nennt) der nur noch ein Ziel hat, an sich zu raffen, was an Lust aus dem Leben zu gewinnen ist. Den nicht mehr interessiert, was an Prinzipien zu denken, zu klären, zu berücksichtigen sei.

In dieser Immunschwäche, die eben eine Seinsschwäche ist, muß jedes Volk nämlich wahrhaft zugrunde gehen, weil es nach und nach jede Lebensäußerung erstickt. Eine Schwäche, die sich geschickt mit "Weltklugheit" tarnt, und nichts als Kleinkariertheit ist - und über die Demokratie kleinkarierte Politiker geschaffen hat, vor allem aber kleinkarierte Künstler. "Auf allen Stühlen sitzt nun das Mittelmaß," schreibt Chesterton.

Nur Überzeugungstäter können Kultur schaffen, und nicht eine Leistung auch in der Kunst der Welt, die nicht von leidenschaftlich für die Wahrheit entbrannten Menschen vollbracht wurde, die für ihre Überzeugung alles zu geben bereit waren. Selbst Blasphemie war künstlerisch noch wirkungsvoller als relativistische, weil angeblich nur praxisorientierte Klugheit.

"Mit Sicherheit," schreibt Chesterton, "war nie ein Ideal in der Praxis so närrisch und so falsch wie jenes der Praxisbezogenheit." Und: "Es gibt kein klareres Zeichen für strotzende Gesundheit als die Orientierung an hochgesteckten, phantastischen Idealen." Niemandem in der Geschichte der Menschheit ging es um "Leistung" oder ""Effizienz", sondern UM die Katholische Kirche, den Staat, die Kunst, die Malerei, die Familienehre, ...

"Selbst wenn das Ideal dieser Männer nur darin bestand, den anderen mit einem Fußtritt über die Treppe nach unten zu befördern, so dachten sie nicht einen Moment wie ein Krüppel an ihr Funktionieren, sondern nur an das Ziel."

Die Nachkriegsgeneration, so Kaufmann, zeige in Richtung der Vollendung eines Trends, der sich mit Beginn der Wohlstandsstaaten Ende des 19. Jahrhunderts erstmals abgezeichnet hat. Aus Angst und Verantwortungslosigkeit und daraus folgender Handlungslosigkeit heraus verschiebe sich (er schrieb das 1965!) unweigerlich das Alter des Übertritts ins Erwachsenensein immer weiter nach oben (während es immer weiter unten beginnt), und lasse so eine (gefährlich undefinierte) soziologische Zwischenschichte entstehen.

Deren leitende Ideen - und nur Zeiten großer Ideen waren Zeiten großer Werke - nicht einmal das mehr sind Theorien. Sondern weite Überwurfmäntel des Verschleierns. Und deren verdunkeltes Aggressionspotential schaudern macht, mit dem sie jede nachvollziehbare Grundhaltung und Überzeugung verbieten und für wertlos erklären.

"Der moderne Moralist ist nicht mehr gesund, weil er ein Ideal lebt, sondern weil ihm ungesunderweise vor den Folgen jedes Krankseins graut."  So endet G. K. Chestertons Essay in "Ketzer". Er sitzt dem letzten und schändlichsten Aberglauben auf, der noch blieb, einem vermeintlichen guten Geschmack.