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Sonntag, 14. Februar 2010

Wie alles kam (1)

Vor geraumer Zeit gab einer der maßgebendsten Netzwerker Österreichs - der, was wunder, selber höchst öffentlichkeitsscheu ist ... - in einer Zeitung eines seiner seltenen Interviews. Darin bezifferte er die Anzahl der einflußreichsten Personen in diesem Land mit etwa zweihundert, die meisten davon eher öffentlichkeitsscheu als mediengeil.

Andere nennen sogar noch niedrigere Zahlen, manche, wie Alexander Vodopivec, nennen schon in der Nachkriegszeit kaum mehr als vierhundert, frägt man sie (hier: liest man in ihren Büchern) nach der Zahl jener, die hierzulande Einfluß und Macht haben.

Gleichzeitig wächst, zieht man eine Summe der Untersuchungen, die teils sogar regelmäßig, oder nur vereinzelt auftauchen, unter den vor allem jungen Menschen in Österreich das Gefühl, einem starren, unveränderlichen und zwanghaften System gegenüberzustehen, das als so quälend aber zugleich dominant erlebt wird, daß man ihm gegenüber kaum wirklich aufzumucken wagt. Zu unübertretbar werden die Grenzen erlebt, in denen man sich bewegen darf, fällt man nicht ... ja, wohin? Fällt man nicht aus diesem System heraus, verliert alle Chancen sich zu entfalten, noch mehr aber, noch mehr: will man nicht in eine Sphäre bodenloser Haltlosigkeit fallen, so zumindest signalisiert es diese enorme Angst, die viele Untersuchungen bestätigen.

Und die - bei so hohem, subjektiv gefühlten Unterdrückungspotential! - eine handzahme, "folgsame", an Politik angeblich uninteressierte Jugend geschaffen haben, ganz im Gegensatz zu so vielen offiziellen und "wissenschaftlichen" pädagogischen Leitbildern und Visionen.

Man stelle sich das vor: während die Pädagogik vorgibt, eine nie vorhandene Freiheit der Menschen bewirkt zu haben, und nach wie vor bewirken zu wollen, wächst allerorten das Gefühl der Ohnmacht und Sinnlosigkeit ... bleibt scheinbar nur noch der Rückzug in immer aggressiver und grenzenloser geforderte Luststeigerung als Lebenskonzept.

Ja, die Visionen ... Ein deutscher Pädagoge, Bernhard Bueb, ist in diesen Monaten mit einer Publikation an die Öffentlichkeit getreten, die ich nicht nenne, um sie als beispielhaft zu bewerben - sie ist aber exemplarisch. Bueb zitiert hier in einem wahren Dauerfeuer eine Vision nach der anderen, einen Traum nach dem anderen, von dem einem nach wenigen Minuten bereits der Kopf schwirrt, ehe man entdeckt, daß sie für diese Zeit typisch sind. Als eine in sich völlig widersprüchliche Ansammlung der unterschiedlichsten Forderungen, Weltbilder, Menschenbilder und völlig subjektiver Stimmungen.

Aber Bueb ist damit eben exemplarisch. Denn wir leben in einer Zeit, deren Visionen und deren Lösungsvorschläge derartig widersprüchlich sind (nicht nur schienen), daß nur eines kennzeichnend ist, sie stehen in einem unlösbaren Widerspruch zu allem Ahnen, zum Gefühl, einer Betonwand gegenüberzustehen. Denn die realen Änderungskräfte laufen in ganz andere Richtungen.

Sohin habe ich mich dazu entschlossen, als Zwischenschritt zwischen anderen Aufgaben, denen ich mich derzeit widme, eine gewisse begrenzte, aber hoffentlich effiziente Aufarbeitung vorzunehmen.

Die von der These ausgeht, daß unsere realen Lebensbedingungen tatsächlich so von systemimmanenten Selbsterhaltungsantrieben bestimmt sind, daß die Schwelle, sie zu frischer Lebenstat zu überschreiten, immer größer, angstbesetzter, aber unbewußter wird. Daß aus historischen Entwicklungen heraus nachvollziehbar, aber damit auch: heute aufbrechbar, eine Situation eingetreten ist, die zwangsläufig (fast) ein homogenes Machtsystem etabliert hat, das gar nicht anders kann als ... verkennen. Weil es zum einen wirklichkeitsfremd, zum anderen von Selbsterhaltungsängsten geprägt Träger aller realen Macht in diesem Land ist, das wirklichem Leben alle Luft sperrt.

Wo Erkenntnis aber nicht mehr stattfindet, da fehlt es nicht nur an Liebe, und umgekehrt, sondern da findet sich die Quelle von namenlosem, und damit wirklich höllischem, Leid.

Diese subjektiven Seelen- und Stimmungsbilder aber haben konkrete und politische Wurzeln und Ursachen. Speziell in diesem Land. Ich sage nicht, das politische Vorgänge und gesellschaftspolitische Entwicklungen ALLES bestimmt haben - aber: vieles. Und das läßt sich nachweisen, läßt sich aufzeigen, sodaß man manche Zustände des Heute mit Sicherheit besser begreift. Denn das Heute wurde - aus dem Gestern. Was heute ist, ist auch somit verstehbar, und damit wird Dämonie - als dumpfes Geplagtsein - auflösbar, wird Handlungsfreiheit wieder zurückgewonnen.

Freilich heißt dieses Vorhaben auch, dem Meer zuzusehen, in seinem Wellenspiel, wo alles zusammenhängt, und nichts zufällig ist. Aber wo wäre der Anfang, wo das Ende? Und vergißt man nicht häufig über solchen Analysen, daß das Meer am Horizont den Himmel berührt?

In Österreich stehen in nächster Zeit eine Reihe von Wahlgängen an. Ich habe kein Interesse, darauf in parteipolitischem Sinne intentional einzuwirken. Wenn man sich damit befaßt, welche Lebensbedingungen das Künstlertum braucht, begreift man auch, wie sehr man sich aus realen Interessen, die sonst das Leben der Menschen völlig zurecht und hoffentlich ausmachen, zurückziehen muß.

Das einzige Interesse, das ich habe, ist lediglich im Rahmen meines künstlerischen Selbstbegreifens definiert: durch mein Tun, durch meine Wahrheitssuche, durch meine Darstellung des Schönen, und das ist zugleich das: wonach man sich sehnt, das Wiederherstellen, zumindest das Begreifbar machen des in der Historie verschütteten Urbildes der Dinge, zur Freiheit der Menschen beizutragen.

Vielleicht aus Egoismus, um selber wieder eine lebenswertere Umwelt für mich und meine Kinder zu schaffen. Das hat mich auch zu dieser Arbeit "Wie alles kam" motiviert, in der es um die Politik in Österreich nach 1945 ging, in der sich unser Heute, wie sich zeigen wird, so starr formiert hat.

Denn heute, davon bin ich überzeugt, müssen Blöcke aufgebrochen werden, die alle bedrücken, aber nur die wenigsten sehen. Die aber nicht irrational bleiben dürfen. Denn vor die Wahl gestellt, der Gerechtigkeit Gottes, oder der vermeinten Vernünftigkeit der Menschen in ihrer Geschichte, und wie erst heute, ausgeliefert zu sein, steht meine Wahl fest ...




*140210*