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Donnerstag, 18. Februar 2010

Wie alles kam (3)

Ein neuer Typus von Sozialdemokrat tauchte mit dem Generationswechsel auf, wie er in der SPÖ in den mittleren, späten 1950er Jahren stattfand. In den Funktionären, die vor allem aus jenen Schichten kamen, die mit dem politischen Gegner, mit realen Problemen zu tun hatten - wie Gewerkschaftern und Abgeordneten - und also nicht vor allem innerhalb ihrer Gesinnungsgenossen blieben (der eigentlichen Quelle der Marxisten in der SPÖ), und jung genug mit den ideologischen Festungen der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg nichts mehr wirklich zu tun hatten.

Plötzlich zog ein neuartiger Pragmatismus ein, und ideologische Parteipolitik verwandelte sich zu einer reinen Interessenpolitik der Mitglieder. Wer Gewerkschaftsmitglied war, wurde schlicht und ergreifend am System bestmöglich bedient, das man aber nicht abwürgen wollte, sondern dessen Wert man pragmatisch sehr hoch einschätzte.

Gleichzeitig wuchs der Wert der Gewerkschaften innerhalb der Partei auch deshalb, weil sie für den tiefgreifenden Strukturwandel - Verstädterung, die Menschen zogen in die Städte, zugleich fand eine rasante Umwandlung von Bauern und in freien Berufen Tätigen zu Lohnempfängern statt - die richtigen Rekrutierungsmaßnahmen hatte. Durch ihre Funktionäre war sie "am Ort des Geschehens", war sie in den Betrieben. Aus ihren Reihen kam also nahezu der gesamte Parteimitgliedernachwuchs! In jedem Fall öffnete sich damit den Sozialdemokraten viel mehr Wählerpotential des traditionell christlich-sozialen, konservativen (ländlichen) Bevölkerungsanteils, als über bestehende reine Parteiorganisationen möglich war. Zugleich förderte auch diese Entwicklung die ideologische Glättung zu noch mehr Wohlstands-Pragmatismus.

Dieser Wandel, der die ganze Partei durchwirkte, und sich in konkretem Personalwechsel darstellte - vom Staatswirtschaftsapparatschik Waldbrunner zum Gewerkschaftspräsidenten Olah - bedeutete einen immer stärkeren Einfluß der Gewerkschaften, die zum Beispiel über die paritätischen Preis-/Lohn-Kommissionen zu einer Art Nebenregierung erwuchsen.

Aber auch in den Wählerschichten drückte sich dieser Wandel zum (überspitzt) ideologie-resistenten Wohlstandspragmatismus aus. Die meisten SPÖ-Wähler rekrutierten sich aus jenen Schichten, die schlicht und ergreifend ihren steigenden Wohlstand der Partei verdankten!

Dieser Wandel war viel dramatischer, als es aussehen mag - denn die SPÖ stammt, zur Erinnerung, aus einer Zeit, in der sie die Vertretung der "verdammten Proletarier, die nichts zu verlieren hatten als ihre Ketten" war. Sie war also eine Revolutions-, eine Protestbewegung der Verlierer. Nun wurde sie mehr und mehr zu einer Partei der ... Nutznießer!

Der gemeinsame Nenner der in sich widerspruchsvollen, zunehmend entideologisierten Sozialdemokratie, schreibt Alexander Vodopivec in Wer regiert in Österreich?, blieb nur das systematische Streben nach Macht und Einfluß. Mit einer engen, machtmonolithischen, weil zugleich zentralistischen (!) Verflechtung von sozialistischen Managern, verstaatlichten Betrieben, Arbeiterkammern, Betriebsräten, Bankenmanagern und Regierungsvertretern. Mit wirklichen Zentralfiguren, in deren Händen sich mehr und mehr Macht konzentrierte. Wie in den Händen des Gewerkschaftspräsidenten, wie damals in den Händen von Franz Olah.