Dieses Blog durchsuchen

Sonntag, 2. Mai 2010

Expropriation der Expropriateure

"Die allgemeine und vor allem die professionelle Verständnislosigkeit macht es der Kirche leicht, den Verfügungsanspruch über die Kirchen (als Bauwerke, Anm.) festzuhalten. Aber weil diese Kirchen Bestandteile - und zwar zentral bedeutungsvolle Bestandteile [die das gesamte räumlich-identitäre, damit kulturwirklichende Leben früherer Zeiten ordnend bestimmten, Anm.] - des Kulturbesitzes, der allen gehört, sind, hat die Kirche die Verfügung über diesen Kulturbesitz in dem Moment verspielt, da sie daran ging, ihn zu zerstören. Denn es geht nicht um bloße Residuen einer kirchlichen Tradition, sondern um Symbole der Geschichte aller, die in diesen Bauwerken sinnlich präsent sind.

Die Expropriation der kulturellen Expropriateure [die nun plötzlich privatisieren, was allgemein war], die Rekollektivierung des privatistisch beiseite geschafften Kulturbesitzes, die Wiederherstellung der allgemeinen Verfügung über das kulturelle Gewordene einer Geschichte, die allen gehört, würden der Allgemeinheit freilich so lange große Verlegenheit bereiten, solange damit nichts Besseres geschieht als in Tepotzotlán [wo die Kirchen völlig musealisiert wurden, Anm.] oder in jenen Museen, die mit sinnlichen Symbolen nichts anderes anzufangen wissen, als sie unsinnlich-abstrakt zu Informationsbissen zu verarbeiten, aufbereitet zu einer "Lehrschau", die wie in einem zoologischen Garten das "Anschauungsmaterial" in hübschen Informationstäfelchen "zugänglich" macht.

Allerdings, die Kirche taugt ebenfalls nicht mehr länger, Sachwalter eines so wichtigen Teils der Kultur zu sein. Wäre es nicht konsequent, wenn der Erzbischof von Freiburg eine neue konzilsgerechte Versammlungshalle (die dann gemeindegerecht-klein alle um den Tisch versammeln könnte) in den Garten seines Priesterseminars stellen würde, nachdem er mit seiner gotischen Kathedrale nichts mehr anzufangen weiß? Und fraglos hätten sich mit dem Aufwand, den die marmorne Verwüstung der Kirchen landauf, landab kostete, bequeme, wetterfeste Vortragshallen für eine Liturgie neuen Stils errichten lassen. Aber wenn auch die Kirche nicht mehr bereit ist, die geschichtliche Kontinuität festzuhalten, so beharrt sie doch auf der geschichtlich gewonnenen Zentralposition ihrer Kirchenräume in Stadt und Land.

Die Wiederherstellung des Allgemeinbesitzes sollte freilich nicht zu einer Musealisierung aller Kirchen führen. Weshalb nicht das unterbrochene Spiel mit sinnlichen Symbolen, die allen gehören, wiederaufnehmen? Jede Art von Spiel stünde der präsentativen Symbolqualität des alten Rituals näher als die durchrationalisierte Informationsveranstaltung der neuen Liturgie."
 
Man solle die historischen Räume der Kirche wegnehmen, die sie so unsachgemäß und zweckentfremdet zerstört, und für kulturelle Selbstorganisation öffnen. Denn Kultur forme sich maßgeblich an der Architektur, wie zahlreiche Erfahrungen und Versuche bei Geisteskranken (sogar) zeigten. So komme es zweifellos zu einer Reform des Kulturlebens der Menschen durch ihre eigenen kulturellen Wurzeln. "Wer die destruktiv-brutalen Formen der Jugendkultur kritisiert, der ignoriert, wo diese sich abspielt: in miesen Behelfsunterkünften."

"Der sinnliche Umgang mit Gegenständen und Menschen muß organisiert werden - im Wechselspiel von kulturell entwickelten Symbolen und menschlichem Erleben. Können wir es uns leisten, einerseits den geschichtlich gewordenen kollektiven Kulturbesitz in den Kirchen unter dem Zugriff der neuen sinnlichkeitsfeindlichen Katecheten verkommen zu lassen, andererseits neuen spontanen Spielentwürfen den Zutritt zum kulturellen Besitzstand zu verweigern?"


Alfred Lorenzer in "Das Konzil der Buchhalter" über Maßnahmen, wie der Kulturentzug, den die Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil durchführt, beendet werden könnte.


Bild: Kirche "Maria Magdalena" in Freiburg-Rieselfeld 
 
 
 
 
*020510*