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Dienstag, 22. Juni 2010

Eine neue Sprache

Es war fast "Zufall", daß sich das Mitteldeutsche - und zwar genauer: jenes Deutsch, das sich in Böhmen damals seit knapp hundert Jahren mehr und mehr durchgesetzt hatte - zu einer ersten allgemeinen deutschen Hochsprache herausbildete. Denn es war logisch, daß der Luxemburger Kaiser Karl IV. nach Prag, wo er amtete, nicht nur als böhmischer König, sondern als Kaiser des Deutsch-Römischen Reichs, nicht nur seine Baumeister und italienische Humanisten nach Prag holte, die diese Stadt und von ihr aus den ganzen geographischen Raum so prägten, sondern auch die Kanzlisten und Beamten aus der Umgebung rekrutierte.

Die die bereits modifizierte Sprache der Ostfranken und Bayern und Thüringer sprachen, denn von dort stammten sie. Aus Gewohnheit schon, einerseits, bleiben die Beamten bei ihrer Sprache, beginnen auch alles an Dokumenten, dann aus der Literatur, aus dem Lateinischen in ihr Deutsch zu übertragen. Und tragen so auch den Grundgedanken der Renaissance - die eine Erneuerung aus den tiefsten Quellen eigenen Volkstums ist, und deshalb in Italien so weit in die Antike zurückgreift, in Deutschland erstmals nationales Selbstbewußtsein weckt - ins Land. Karl IV. sieht diese Schriftsprache schließlich als kulturschaffenden, weil zum Volk einigenden Akt, einem großen Vorwurf in die Zukunft, getragen von eben diesem Selbstbewußtsein der Renaissance.

Und er löst (auch in seinem Handeln "gegen" die schon lange staatlich gefaßten Tschechen/Slawen) unabsichtlich dramatische Folgen aus - in der Hussitenbewegung, die auch auf die Neusiedler im Osten schwerwiegende Auswirkungen hat, auch diese ergreift, und die Kulturkontinuität dieses Raumes, gerade als er beginnt sich im Deutschen zu einen, auf sich zurückwirft, damit eigentümlich formen, weil das Deutsche kulturell entzwei brechen wird - in lateinisch und in reformatorisch. Oder, anders, und um nichts weniger wahr, ja wenn nicht vor allem geistig wahrer gesehen: in römisch-deutsch und slawisch-deutsch.

Zugleich vollzog außerdem diese Zentralisierung den Übergang vom germanischen Recht zum römischen.

Und so setzte sich aus der Kanzleisprache heraus mehr und mehr im ganzen Reich, insbesonders auch in den Ostgebieten - Meißen (und von hier, 250 Jahre später, Luther!), Lausitz, Schlesien, Mähren - das Mitteldeutsche als alle verbindende, speziell im Osten überhaupt erst so etwas wie ein geeintes Volksbewußtsein schaffende Sprache durch. In diesem Jahrhundert also, von 1350 bis 1450, vollzog sich ein zweiter dramatischer und ungemein tiefgreifender Wandel in unserem geistigen Raum: war unter Karl dem Großen das germanische Frankenreich romanisiert und latinisiert worden, so wurde es nun neuerlich von einer Kunstsprache als Trägerin einer neuen Kultur, die in sich das Bildungsgut der Renaissance, des Abendlandes bereits verarbeitet hatte, durchdrungen.

Dazu kam die Bedeutung Prags als deutsch-humanistische Universität, die den gesamten europäischen Zentralraum als Forschungsstätte dominieren sollte, so wie Paris es im Westen tat.

Es ist diese Kunstsprache - im wesentlichen: unser heutiges Deutsch, das dann die Druckereien aufnahmen. Und erstmals wurde auch die Bibel verdeutscht. Und schon entstehen die ersten Dichtwerke, Spiele, auch nach italienischen und englischen (Karl IV. hatte enge Verbindungen nach England) Vorbildern, und verbreiten diese Sprache, bis in die letzten Winkel.



 *220610*