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Samstag, 23. Oktober 2010

Politik ohne Idee

Spaemann schreibt einmal völlig richtig, daß die Politik die Wissenschaft heute vielfach fehlbewertet. Nämlich als könnte es eine "wissenschaftlich richtige Politik" geben. Eine solche gibt es aber nicht.

Politik bedeutet die Manipulation der Lebensumstände der Menschen zum Richtigen. Aber sie muß immer die Politik des Einzelnen sein, und kann nicht den einzelnen zugunsten langfristiger "Zwischenzustände" opfern. Denn wenn (als illustratives Beispiel) ein Schulversuch auch aus wissenschaftlicher Sicht interessant sein mag - so sind seine "Probanden" Menschen, für die dieser Schulbesuch der einzige ihres Lebens ist, das noch dazu rasch vergeht. So verführerisch es auch sein mag, mit wissenschaftlichen Abstrakta zu arbeiten, so unmenschlich ist es, den Einzelnen - und Leben ist IMMER einzeln! - zu opfern, um ihn diesen Ideen unterzuordnen.

Die Wissenschaft kann niemals - auch nicht die Humanwissenschaft - sagen, was richtig oder falsch ist, wenn ihr nicht ein Ziel, ein Idealbild vorgegeben wird. Den Rahmen ihrer Einordnung muß sie aber von außen bekommen, der entsteht nicht aus ihr selbst, so wie sie die moralisch-politische Gewichtung ihrer Ergebnisse nicht selbst vornehmen kann! Es ist ein tragischer Fehler zu meinen, Wissenschaft wäre eine Wissensansammlung, an deren Ende man sich nur hinzusetzen bräuchte um zu sagen: "Calculemus!" und das Ergebnis läge als richtige Entscheidung am Tisch.

Genau das ist aber Brauch geworden, und es wird übersehen, daß sich damit eine Voraussetzung verfestigt, die immanent wurde, und damit sagt, daß alles der Erhaltung des status quo, der Systemoptimierung zu dienen habe. Der Politik fehlt damit genau das, was sie ausmacht: die Idee, auf die hin sie sich abstimmt, und die sie anstrebt - sonst wäre sie nicht Politik: als permanente Neuausrichtung der täglich neu entstehenden, sich in neuen Konstellationen vorfindenden Gegenwart auf dieses "ewige", ferne Ziel hin. Urteile, Entscheidungen können aber nur auf solch ein Ziel hin getroffen werden - dem sich dann das Leben der Einzelnen nähert, oder von dem sie sich entfernt. Es gibt also (wieder nur als Beispiel) ein abstraktes "Bildungswesen", dem alle politischen Kräfte gleichermaßen dienen, das richtig und zu tun sei, würde ohnehin eine neutrale Wissenschaft sagen. Das zu glauben, ist nicht nur naiv, es ist falsch.

 
*231010*