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Sonntag, 24. Oktober 2010

Völlig anders gelagert

Es ist ein Irrtum, die Mystik als jenen Zustand zu bezeichnen, in welchem der Mensch Gott in besonderer oder in besonders intensiver Weise begegnet. Das läßt sich gar nicht so aussagen. Einer der größten Mystikkenner des 20. Jhds., P. Henri Bremond, bringt mich auf den Gedanken, der so einfach scheint, liest man ihn einmal, und der doch so weit wirkt:

Die Grunderscheinung der Mystik ist nicht die Gottesbegegnung, sondern die Bewußtheit der Gottesbegegnung.

Dies zu erkennen hat weitreichende Konsequenzen im Nachdenken über die Mystik, so sehr sie ein Ereignis ist, das weder angestrebt, erleistet, verdient werden kann, noch direkt mit Vernunft erklärbar ist. Aber sie verortet sich aus obig Gesagtem auch, in ihrer Ermöglichung, aber nicht Bewirkung, in der Psychologie des Mystikers, und rückt alle Reflexionen über ihre Natur an den rechten Fleck - über die rein sittliche Lehre (wie sie für jeden gleich ist) hinaus im Besonderen, soweit es die Unterscheidung zwischen echter und falscher Mystik angeht, zurück in den Bereich rein menschlicher Rezeption.

Diese Erkenntnis läßt die Mystik, als subjektives Erleben, an den gesamten Verstandes- und Vernunftapparat des Menschen gebunden sehen. Was nicht neu ist, was aber wesentlich wird, versucht man den heutigen Dschungel aus den Mißbräuchen des Begriffs zu lichten, in dem der Grundsatz eine wesentliche Rolle spielt, daß je widervernünftiger die Verwendung ist, desto "erhabener" und autoritativer ihre Verortung behauptet wird, weil natürlich subjektive Behauptungen jeder Überprüfung widerstehen. Aber: Es IST überprüfbar, auch wenn ein kritisches Sprechen darüber meist (und hoffentlich) liebender Diskretion anheimfällt.

Sich dieser Verortung aber bewußt zu sein läßt auch ahnen, welcher Gefährdung dieses wahrgenommene Moment einer "Inspiration der Gegenwart Gottes" durch persönliche Schwächen, Eitelkeiten, Laster ausgesetzt ist. Deshalb ist ein mystischer Mensch OHNE daß er den Weg der Läuterung gegangen ist, undenkbar, ja man kann nur den Kopf schütteln angesichts der Bemühungen GERADE jener oft, die meinen, sich mit "Mystik" diesen beschwerlichen Weg gar ersparen zu können  - und häufig genug charakterliche Wracks mit offensichtlichen Persönlichkeitsdefiziten sind. Und wo gar Psychotechniken - bewußt oder unbewußt - oder psychologische Mechanismen (namentlich Gruppendynamiken) entsprechende "Erlebnisse" hervorrufen sollen.

Diese Tatsache ist das erste und "todsicherste" Merkmal in der prüfenden Unterscheidung des Herkunftsbezirk entsprechender Erlebnisse und Erfahrungen der "Gegenwart Gottes". Weshalb auch keine mystischen Berichte bekannt sind, in denen ein Mensch mit mystischen Erfahrungen von sich je behauptet hätte, er wäre rein genug ... sondern zum Gegenteil. Erschütternd, aber so glaubwürdig, alleine, was über Franz von Assisi diesbezüglich berichtet wird.

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Beim Lesen der Schriften Theresias von Avila fällt ebenfalls eines auf: Man sieht, daß sie im Grunde "nur" Schriften völliger geistiger Klarheit und der Suche danach, in unnachgiebiger,  zu allem bereiter Selbsterkenntnis, sind. Abdruck einer staunenswert klaren Seele, in der nicht eine Bemerkung widervernünftig ist. Kein einziges Wort, das sich gar "mystagogisch" verklärend der Vernunft entzöge. Keine Differenz in der geistigen Schärfe zwischen dem klug, aber nie lieblos erwogenen Kauf einer Ziege (oder eines Klosters), der psychologisch glasklaren Analyse der Gebetsprobleme einer Schwester, und der Besprechung ihrer tiefsten Seelenerfahrungen mit ihrem Seelenführer. Ja, eigentlich geht es ihr nur um eines: Eben dieses voraussetzungslose Lieben.

Wer im Irdischen keinen klaren Kopf hat - scheidet für die Mystik (den Weg des inneren Gebets) aus. Das ist Theresias klare Faustregel. Denn Gott ist die Vernunft. Die an sich einzige Form der Einung mit Gott ist deshalb personal: Vernünftig (als Zusammenspiel von habituellen Eigenschaften und Verstand, im Herz) zu sein.

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Aber alles das, was der Laie (und wie der charakterlich Unausgewogene, wie oben beschrieben) als typische Anzeichen der Mystik ansieht - Levitationen, Ekstasen, Visionen des Gefühls und der Phantasie, innere Stimmen, Wunder, Hellsehen etc. etc. - sind Begleiterscheinungen unwesentlicher Art, die den Grundumstand begleiten können oder nicht - deren unmittelbare Ursache aber verschiedenster Herkunft sein kann.

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Das zur poetischen Inspiration Unterschiedliche liegt in einem "Extra", das die religöse Mystik dem poetischen Ereignis gegenüber besitzt. Zwar sind beide plötzliche Gesamtschauen, Schau, verschieden vom stufenweisen Vernunftakt, und eine andere Qualität, aber im religiösen Ereignis kommt das Bewußtsein der - dem Mystiker "passierenden" - Begegnung mit der direkten Liebe dazu.

 
 
*241010*