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Montag, 21. Februar 2011

Vorstoß in die Leere

E. R. Curtius entnehme ich den Hinweis, daß die lateinisch-spätantike Welt ab etwa 300 n. Chr. wie angefüllt mit seltsamen "übersinnlichen" Wesen und Zwischenwesen ist. Der alte Glaube war durch "Aufklärung" verloren, und das Christentum hatte sich noch längst nicht soweit durchgesetzt, als es die alte bereits zur neuen Kultur umgewirkt hatte.

Im Alltag aber waren Münzen der Kaiserlichen Prägungsanstalten, war die Kunst, waren Mönchsvisionen, aber auch die heidnische Poesie angefüllt mit seltsamsten Zwischenwesen - mit Sibyllen, Schutzgeistern, Dämonen, übermenschlichen Heilsbringern und Schädlingen.

Als schaffe sich eine Epoche ihre seelischen, geistigen Bilder, die zu einem guten Teil archaische Grundbilder seelischen und metaphysischen Idealbilder und tief inneren, noch unbegriffenen Erlebenswelten in Allegorien und Visionen. Boethius zum Beispiel erscheint die Philosophia als Greisin - voller jugendlicher Lebenskraft, in wechselnden Gestalten und Größen. Wobei das Motiv - die Verquickung von jung und alt - sehr dominant ist.

Die Kirche wird in einer berühmten Vision von Hermas z. B. als alte Frau gesehen, die sich zunehmend verjüngt. Claudius wiederum führt die vergreiste und verfallene Göttin Roma zu Jupiter, der sie ermutigt und verjüngt. Das Schema der "Altjungen" kann sowieso in der gesamten Menschheitsgeschichte als Archetyp für "Heilsbringer" ausgemacht werden. Erst allmählich,ab dem 5. Jhd., wird diese Allegorie zum rhetorischen Klischee entwertet.

Um  aber immer wieder aufzutauchen ... Curtius: "In messianisch odelr apokalyptisch erregten Zeiten können sich verblaßte Symbolgestalten mit neuem Leben füllen wie Schatten, die Blut getrunken haben." In der französischen Juli-Revolution von 1830 tauchen beispielsweise (Balzac!) solche Figuren wieder auf. Ein scheinbar verbrauchter Topos hatte sich überraschend wieder verjüngt. Archetypische Tiefenbilder der Seele, die dort nur schlummern, nie tot sind sondern - oft genug im Wechselspiel mit Konkretem aus Kulturrelikten, in denen sie über die Zeit heraufwandern - verschatten, tauchen plötzlich wieder auf. Auch solche Tiefenbilder, die längst zu dämonischer Eigengewalt gewachsen waren, schliefen - und nun wieder gerufen werden.

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