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Sonntag, 27. März 2011

Eins nicht ohne das andere

Es ist nur eines der unzähligen Mißverständnisse, schreibt Irene Behn in "Spanische Mystik", Heiligkeit und Mystik zu trennen. In Wahrheit liegen beide nicht nur auf derselben Ebene, sondern bedingen einander. Es gibt in Wahrheit keinen Heiligen, der durch "Askese" heilig wurde, und keinen, der nicht letztlich in mystisch zu nennende Gottverbindung gelangt ist, ob er nun Ekstasen nachweislich hatte oder nicht.

Dagegen aber ist es ein fataler Irrtum zu meinen, es gäbe eine Mystik unabhängig von Heiligkeit, oder als wäre die Mystik ein "Weg" zur Heiligkeit. Zwar ist es richtig, daß die Mystik auch die "unteren" Stufen der Heiligkeit, den Weg zu dieser, begleiten kann, zwar ist es richtig, daß Gottnähe in dieser Weise auch den Weg zur Heiligkeit säumen kann - aber es gibt keine Mystik ohne Heiligkeitsstreben. Und schon gar nicht als "Technik" der Welt- und Daseinsverschönerung, wie man es im Zeitalter der Esoterik nennen möchte.

Deshalb sind Sprüche wie "Es wird nur ein mystisches Christentum geben, oder es wird keines geben" (Rahner, u. a.) weder so gemeint, noch darf es so verstanden werden, als gäbe es quasi eine "Mystik als Weg". Das erste Anzustrebende ist niemals das, was man als Mystik bezeichnet, ist nicht die erfahrbare Gottesnähe - nichts Unreines kann vor Gott, nichts Unreines ist ihm ähnlich! Hinter solchen Zielen stehen fast ausschließlich defekte Ziele und Antriebe, und sie sind nur typisch für die Verbogenheiten der Gegenwart.

Das erste ist die Heiligkeit, nur sie ist die wirkliche Anähnlichung an Christus, dem eigentlichen Fluidum der Mystik, ja ihr eigentlicher Inhalt. Und dieser Weg ist praktisch immer gleich, und nimmt dieselben Routen, wenn auch bei jedem auf seine Weise. Keine Technik der Welt vermag diesen Weg auch nur einen Schritt abzukürzen, sondern bedeutet eine Form des Nihilismus. In jedem Fall wird das Angestrebte banal.

Dazu ist noch zu unterscheiden zwischen der Erkenntnismystik und der Liebesmystik, die erst im Höchsten und von der Liebe her in eins verschmelzen - erstere erhellt, beseligt mehr oder weniger kurzzeitig, und ist wie ein Teil des Ganzen, kann insofern Anfeuerung und Wegzehrung sein, besonders im nachmystischen Bereich, wo ja oft erst die Entscheidung fällt: in unserer "nüchternen" Verweigerung, oder Zustimmung - letztere wandelt ja dann erst dauerhaft und ganz um. Ja, diese Umwandlung ist nachgerade Echtheitsmerkmal, denn Gott als die reine Form gestaltet kraft seiner Gegenwart - als Haupt den Leib. Theresia hat einmal verweigert, Raimundus Lullus viermal. (Der Hl. Ignatius, zum Beispiel, "staffelt" alle mystischen Erfahrungen nach ihrer Umwandlungskraft zum Liebenden, als Erweis ihrer Gottesunmittelbarkeit.)

Schließlich setzt die Erkenntnismystik große Läuterung voraus - Johannes vom Kreuz weist darauf hin - selbst wenn sie vorerst nur die Erkenntnis berührt, für sich bleibend eine Sackgasse wäre. Aber um in die göttliche Weisheit einzudringen, braucht es das "Dickicht des Kreuzes".

(Womit jede Gnosis oder eine Erkenntnismystik, die als zweite Person den Logos sucht und darüber vernachlässigt oder vergißt, daß der Logos Fleisch wurde, als Erlöser blutete, und zum Nachleben, nicht zum Nachdenken aufruft. Jesus ist das scheidende Schwert: hier Erlösungsbedürfnis, dort Verlangen nach hellenischer Metaphysik nach dem wahren Sein. Dem Erkenntnismystiker bleibt die - von Gott trennende! - Sünde gewichtlos, er kennt nur die Verfehlung des Irrtums. Er will deshalb vor allem den Ring von Zeit und Raum zersprengen, der aber doch sein einziger Weg zur Christusanähnlichung wäre - wie Jesus selbst es tat, als Gott, als Mensch zugleich, der sich den Bedingungen von Zeit und Raum unterwarf.)

In der Liebesmystik liegt das höchste Erreichbare, liegt die höchstmögliche Erfüllung religiösen Lebens. Sie ist noch einen Schritt über alle Ekstatik der Erkenntnis erhoben, in ihr ist alles in Gott, ist er alles in der Seele. Bleibt die Erkenntnismystik ohne dieses höchste Ziel aber, fällt sie wieder zurück, ja wird zu ihrer Karrikatur.

Mystik und Heiligkeit sind Synonyme, Begriffe für ein und dasselbe, unter bestenfalls anderer Gewichtung - hier mehr Verborgenheit in Gott, dort mehr Apostolat und Wirken der Nächstenliebe. Ja, gerade letzteres, das Apostolat, ist im Grunde eine Stufe der höchsten Mystik, weil es nur um ein immer direkteres Wirken Gottes durch den Apostel gehen kann. Und dazu muß er die höchste Stufe der Gottanähnlichung erreicht haben, wo die Seele bereits die paradiesische Unschuld wiedergewonnen hat, in deren Kraft andere Seeleln am unmittelbarsten gewonnen werden, weil Christus es ist, der spricht. Beide Formen (als Gewichtungen in der Welt) der Gottesnähe sind nur zwei Seiten derselben Medaille - der Wirkweise des Heiligen Geistes.

Aber in nichts davon darf der Mensch verweilen. Denn die Heiligkeit besteht, schreibt Theresia von Avila, ausschließlich in der demütigen Liebe zu Gott und dem Nächsten.

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