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Freitag, 25. März 2011

Ohne Zwang zur Freiheit

Wir wissen, schreibt Lawrence S. Kubie in "Neurotische Deformation des schöpferischen Prozesses", daß die wachsende Dauer der Ausbildung junger Menschen mit dem gleich wichtigen Verlangen nach Erfahrung und Verantwortung kollidiert. Echte menschliche Reife kann nur einer Einsicht entspringen, die aus dem Wechselspiel von Leben, Irrtum und dessen Analyse entsteht. Das Leben kann nicht ohne Selbstprüfung, und diese nicht ohne echtes Leben (sic!) sein.

Wir vergessen manchmal, daß die Gründer unserer Republik (USA, Anm.) jung waren und oft auch jung starben und daß viele von ihnen schon als Dreißig- und Vierzigjährige zu nationaler Größe heranwuchsen. Doch dies ist gerade der wunde Punkt; die stetige Verlängerung der Ausbildung führt dazu, den Studenten zwangsweise für viele Jahre im Zustand der halbreife mit beschränkter Verantwortung zu halten. 

Diese hartnäckige Unreife ewiger Studenten ist eine bekannte Erscheinung auf alle Universitäten. Wenn irgendein Studienprogramm zu lang dauert, oder gar noch unterfordert weil es als sozialpädagogisches Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit mißbraucht wird, und deshalb das Anspruchsniveau senkt, werden die selbständig Denkenden nach und nach abspringen und nur noch die Gelehrigen, Unterwürfigen und Unschöpferischen die ganze Zeit der Unterweisung überstehen. Dieses Problem zieht den Verlust gerade der Wertvollsten für die gesellschaftliche Elite nach sich!

Genau dasselbe läßt sich von der immanenten Neurotisierung der Gegenwart sagen, die die pädagogischen Programme oft genug bedeuten. In dem wir zum einen die unterbewußten Prozesse (die den Menschen an das Diktat seiner unterbewußten Regungen binden) weiter abblocken, zum anderen die bewußten Prozesse hypertrophisch zu Verhaltenszwängen ausbauen. Hier werden wir systematisch um die Zukunft unserer Gesellschaften gebracht!

Ohne den Zwang zur freien Verantwortung wird die persönliche Reifung der jungen Menschen regelrecht verhindert. Auf sich geworfen, von jeglicher Verantwortung befreit, lehnt  er sich gegen jede Autorität auf und übersieht, daß er an sein Unterbewußtes gekettet bleibt. Er duldet keine Einmischung von außen und wehrt sich gegen die Selbsteinsicht der inneren Versklavung. Damit fehlt ihm jegliches Selbstverständnis. Er kehrt also beiden Arten von Erfahrungen den Rücken, die dem menschlichen Geist ein Reifwerden ermöglichen. 

Er will nicht demütig auf die Weisheit warten, die nur am "Sektionstisch" gewonnen werden kann, d. h. durch die Erforschung seiner eigenen Fehler, als einzigem bekannten Weg zu vertiefter Selbsterkenntnis. Sein rebellischer Geist wird sich stattdessen auf seinem eigenen Spezialgebiet in Kunst, Musik, Literatur oder Wissenschaft festbeißen, um hier seine Neurose in aggressiver Weise ausdrücken zu können.

Hierin sieht er (zwangsläufig, durch Anbindung an ein Objektivum, das außerhalb von ihm sein muß) so etwas wie seine Berufung, und wie jede Berufung bestärkt ihn diese in seiner fixen Idee, daß er aus einer Offenbarung heraus schaffen könne. In dem einen Bereich sind die Offenbarungen absolute Wahrheiten, von einer Gottheit verkündigt. In einem anderen Bereich dagegen entspringen sie einem geheimen Quell innerer Absolutheiten. Aus dieser unbewußten Arroganz hat sich das unausgesprochene Dogma entwickelt, im schöpferischen Künstler müsse Unwissenheit als ein Positivum kultiviert werden, damit er auf diese Weise der Belastung durch die Wirklichkeit entgehe. Und sonderbarerweise enthält auch diese wie alle derartigen Vorstellungen ein Körnchen Wahrheit.

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