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Freitag, 27. Mai 2011

Bonmots zum Sterben

"Experimente der Hirnforschung auf der Suche nach Gott sind ungefähr so sinnvoll wie das Zerlegen eines Fernsehgerätes auf der Suche nach Ulrich Wickert. Die mentalen Erlebnisse sind nicht ohne die neuronalen Ereignisse zu haben, aber sie sind mit ihnen ganz offenbar nicht identisch."

Ulrich Lüke
"Wie Goethes Faust ausschließlich aus der wiederholten Verwendung der 26 Buchstaben unseres Alphabets besteht, besteht das Hirngeschehen aus den elektrochemisch präzise beschreibbaren neuronalen Vorgängen. Nur indem ich immer wieder 26 Buchstaben identifiziere, habe ich noch nichts vom Inhalt des Faust verstanden.

"Wasserdampf, also H2O, ist von Außen betrachtet eine Wolke und von Innen betrachtet Nebel. Der Versuch, ein umfassendes Verständnis von diesem Phänomen zu gewinnen, sollte nicht vorschnell eine Perspektive wegerklären (zum Beispiel die manchmal ungeliebte mentale), um die eigene (zum Beispiel die neuronale) als einzig zutreffende präsentieren zu können. Wir brauchen den Mut zu einem Multiperspektivismus."

"Ich wäre sehr vorsichtig damit, den Nahtoderlebnissen einen theologischen Erkenntniswert zuzuschreiben und in den positiven oder negativen Erfahrungen eine Bestätigung für die Existenz von Hölle und Himmel sehen zu wollen. Das Glücks- oder Horrorerlebnis kann auch mit der Medikamentierung des Patienten in Todesnähe zusammenhängen. Dann sagt das eher etwas aus über den Inhalt des Apothekenschranks im diesseitigen Krankenhaus als über himmlische oder höllische Erfahrungen im Jenseits.
Aber wenn die Todesnähe-Erlebnisse auch nichts Sicheres über das Jenseits sagen können, so sagen sie doch etwas über das Sterben und vermitteln eine Ahnung von dem, das uns allen bevorsteht. Wenn die reanimierten Herz- oder Hirntoten mir sagen können, es sei eine "himmlische" Erfahrung gewesen, die sie da gemacht hätten, kann das vielleicht meine animalische Angst davor, dass Sterben auf jeden Fall ein Horrortrip und der größte anzunehmende Unfall sei, relativieren.

derStandard.at: Modelle von Himmel und Hölle stehen Gläubigen unterschiedlicher Religionen als Verheißung oder Schreckensvision zur Verfügung. Warum brauchen wir Menschen solche Projektionsflächen? Können wir uns nicht einfach vom Tag unseres in die Welt-Kommens unserer Endlichkeit bewusst sein, ein verantwortungsvolles Leben führen und am Ende ohne Verheißungen auf ein Jenseits loslassen?
Lüke: Schon mit dem Stichwort "verantwortungsvolles Leben" schleusen Sie das Trojanische Pferd der Transzendenz in die Stadt ausschließlicher Immanenz, die sich so verzweifelt um eine rein innerweltliche Selbstabschließung bemüht. Vor wem sollte ich mein ganzes Leben vom ersten bis zum letzten Tag verantworten? Woher kommt mein Verantwortlichkeitsgefühl? Wem schulde ich eine letztliche Antwort? 

Gerade das klare Bewusstsein von meiner eigenen Endlichkeit und Begrenztheit nötigt mir wie im Rückstoß je neu den Gedanken einer Unbegrenztheit und Unendlichkeit auf. Es ist höchst merkwürdig, dass wir die von uns zum Beispiel in der Wissenschaft permanent versuchte und realisierte Entgrenzung unserer Begrenztheit, die permanente Verunendlichung des Endlichen nicht als Indiz für die Unendlichkeit und Unbegrenztheit sehen, sondern als Täuschung und Trugbild denunzieren. Ohne die Idee von Unendlichkeit, nur eingekeilt von der für absolut erklärten Endlichkeit, werden wir uns selbst und diese ganze Weltgeschichte nicht verstehen können.


Der Theologe, Philosoph und Biologe Prof. Ulrich Lüke in einem Interview im Standard

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