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Mittwoch, 4. Mai 2011

Nur das Unsichtbare ist sichtbar

"Unsichtbar ist nicht nur das Leben als Innerlichkeit, als Erleben, unsichtbar ist auch die Welt des Lebendigen. Denn die Welt des Lebendigen ist eine Welt von Bedeutungen und Funktionen. Sichtbar ist der Getreidehalm und das bräunliche Ding, das aus dem Backofen kommt. Aber was den Backofen zum Backofen macht, ist ebenso unsichtbar wie das, was das Brot zum Brot macht, nämlich die Funktion des Ofens bzw. die Eßbarkeit des Brotes.

Eßbarkeit ist eine virtuelle Eigenschaft, ein sogenannter Dispositionsbegriff. Er bezeichnet eine Möglichkeit, so wie der Begriff der Wasserlöslichkeit oder der des Malenkönnens. Möglichkeiten kann man nicht sehen. 

Aber ohne den Begriff der Möglichkeit können wir über Lebendiges nicht sprechen. Leben ist immer Aus-Sein auf etwas, das noch nicht ist und das eben deshalb unsichtbar ist. Die menschliche Lebenswelt ist eine Welt von Möglichkeiten, Funktionen und Bedeutsamkeiten, die so unsichtbar sind wie das Leben selbst. Ja, die Sichtbarkeit setzt nicht nur das Unsichtbare voraus, es ist eine Funktion des Unsichtbaren."

Robert Spaemann, in "Das Schöne und die Kunst - Das Unsichtbare gestalten"



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