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Samstag, 25. Juni 2011

Von objektiven Kräften

Fast nebenher folgern manchmal bei Florenski Schlüsselgedanken, die nicht selten deshalb befreiend wirken, weil sie in ihrer Allgemeinheit und Schlüssigkeit Geahntes, innerst Gewußtes "erlösen", in Worte fassen, damit "wahr" machen (als "im Allgemeinen, Universalen des Wortes verankert", und dazu braucht es das Gesprochene in der Zeitlichkeit).

Indem er sich gegen das mechanistische Bild der Gegenwart wendet, schreibt der russische Priester 1924 Folgendes: Er hätte den Eindruck, daß es an der Zeit wäre, daß sich die Physik eines Grundsatzes wieder bewußt werde, der ihr offenbar in Vergessenheit geriet, wenn sie von der Allgemeingültigkeit von Kräften wie "Gravitation" oder "Magnetismus" spreche.
Und dieser Gedanke ist, daß zwischen Kraft und Objekt der Einwirkung eine Entsprechung herrschen müsse. Florenski demonstriert das an einem simplen Beispiel: Wenn ich ein elektromagnetisches Feld vor mir habe, so ist es für den Menschen oder seine Stein in der Hosentasche völlig gleichgültig, ja: es ist keine Kraft vorhanden. In dem Moment aber, wo ich ein Stück Eisen in der Hand halte, sagen wir: einen Nagel, existiert diese Kraft.

Nichts ist in der Lage eine entsprechende Kraft auszuüben, wenn im einzuwirkenden Objekt nicht eine Bereitschaft dazu vorhanden ist, also Aufnahmebedingungen, die mit der wirkenden Kraft korrespondieren. Die Antike, meint er, hätte das noch gewußt.

Kraft verursacht Veränderung, aber nicht durch blinde Gewalt. Und was ihr fremd ist und keine Voraussetzungen zu ihrer Assimilation enthält, bleibt davon unberührt. Aus der Wirkungslosigkeit aber läßt sich nicht schließen, daß eine Kraft nicht existiere.

Aber Florenski geht es von mehreren Seiten an, und er erzählt zwei Beispiele: Menschen gehen am Trottoir, er beobachtet sie wie sie in einer Linie entlang einer Mauer gehen. Plötzlich gehen die einen einen Bogen auf die Straße, die anderen nicht. Als er hingeht sieht er, daß da ein Tor war, mit dem Schild: Vorsicht, Ausfahrt! Dann wieder sieht er einen Straßenkünstler. Erst gehen die Menschen an ihm vorbei, indem sie einen Bogen um ihn machen. Aber dann bleibt einer stehen, dann mehrere, und je mehr Leute da stehen, desto mehr gehen selbst wenn sie vorbeigehen und nicht gleich zum Künstler hingehen, einen Bogen der HIN zum Künstler weist, als würden sie abgelenkt ...

Es sei ihm nicht möglich, schreibt er, einen Unterschied zwischen magnetischen (o.ä.) Kräften und jenen Kräften festzustellen, von denen man hier sprechen müsse. Spricht man also von "Kraft des Eindrucks, so sehe er keinen Grund, dieser Kraft weniger physikalische Relevanz beizumessen, als magnetischen Kräften.

Natürlich wirkt das Schild Vorsicht! Ausfahrt! nicht auf Eisen. Aber auf Menschen. Eindrücke sind Kräfte! Während Eisen sich auch nicht vom Schauspiel des Künstlers anziehen ließe. Weder das Wort noch das Schauspiel sind also in bezug auf Eisen scheinbar "Kräfte". ABER das können wir so gar nicht sagen: wir können nur sagen, daß sie diese bestimmte Wirkung nciht haben. So, wie man beim Menschen gewisse Wirkungen der elektromagnetischen Felder feststellt, so kann man im zweiten Fall nur sagen, daß im Eisen keine entsprechende Wechselwirkung sich zeigt.

Es gibt also Kräfte, die keineswegs rein mechanische Wirkungen erzeugen, und nicht einmal physikalischer Natur sind, d. h. wenn die Wahrnehmungsorgane nur auf mechanische und physikalische Einwirkung reagieren.

Aber mit absoluter Sicherheit läßt sich sagen, daß SCHÖNHEIT eine Kraft ist, und zwar um nichts weniger als die des Magneten, oder die Schwerkraft.

Denn wir wissen rein gar nichts von den Prozessen und Wegen, durch die die Wirkung einer beliebigen mechanischen oder physikalischen Kraft zutagetritt. Wir beobachten immer nur die ferige, auf unerfindliche Weise zustande gekommene Wirkung. Da wären also sogar Wirkungen, die über unser Bewußtsein laufen, noch viel verständlicher, als jene in der "rein" materiellen Welt. Jeder Versuch, solche physikalischen Wirkungen zu erklären, bringt nichts als neue Mittlersubstanzen hervor. Wieweit in den Dingen, auf die eingewirkt wird, Reaktionen vorherrschen, entzieht sich VÖLLIG unserer Fähigkeit, es festzustellen.

Deshalb ist es sogar notwendig und richtig sich darauf zu bescheiden, einen Zusammenhang Anfang und Ende zu konstatieren: Kraft, und Wirkung. Zwischen den verschiedenen Kräften gibt es keine trennende Grenze, auf deren einer Seite das Objektive und auf deren anderer das Subjektive läge. Alles Objektive hat seine innere Seite, wie auch alles Subjektive nach außen tritt. Es gibt nicht Geheimes, das nicht offenbar würde, so wie umgekehrt auch alles Offensichtliche etwas Geheimnis in sich hat.


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