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Mittwoch, 6. Juli 2011

Perspektive - Die Starrheit des Standpunkts - I

(Ein erster Gesamtdeutungsversuch)

1. Teil)Die Perspektive. Vom Ding zum Subjekt - Der Beginn einer manipulativen Weltsicht.

Zum Ende des Mittelalters zieht eine neue Position des Erkennens auf - plötzlich wird nicht mehr das Bestreben entscheidend, daß das erkennen sich am Erkenntnisobjekt zu orientieren hat, sondern zunehmend, und in einzelnen plötzlich, wird die subjektive Position ausschlaggebend. Dieses Hineinverlegen der Welt in die subjektive Sicht, ins Subjekt, wird ab dem 15., 16. Jhd., ab der Renaissance, immer bestimmender, und zieht sich über den Subjektivismus des Descartes, über Kant etc. weiter, über den Idealismus im 19. Jhd. mit seiner ursprünglichen Gegenbewegung der Romantik) bis ins 21. Jhd., bis zur Totalillusion des Internet, wo alles nur noch eine Angelegenheit subjektiver Bilder als Wirklichkeit wird.

Das Aufkommen der Perspektive in der bildenden Kunst zeigt deutlich diesen Paradigmenwechsel. Die normale Sehweise ist stereo-okular: die Augen sehen ein Ding zum Teil "gemeinsam", aber mit unterschiedlichen Gesichtspunkten, während dann aber noch jedes Auge für sich eine Seite des betrachteten Objekts wahrnimmt. Aus diesen Informationen, mit den subjektiven Prozessen im Betrachter, den Einflüssen von außen etc., bildet sich im Betrachter bzw. bildet sich der Betrachter ein Bild.

Jeder kann es nachvollziehen, wenn er seine Hand auf die Nasenwurzel hält: nun zerfällt sein Blick wieder, in links und rechts, und man kann erahnen was es heißt, Vorder- und Rückseite eines Dings - wie im natürlichen Sehen - zugleich zu sehen.

Vor der Perspektive, in der Kunst der Antike (bzw. ja auch davor) bis zum Mittelalter, wurde deshalb der Gegenstand in seiner Ursächlichkeit, seiner Geistigkeit so prägnant wie möglich dargestellt. Die Kunst offenbarte die wirkliche Wirklichkeit, die Wirklichkeit für die das Objekt der Darstellung Symbol wird. Die bildenden Kunst hat damit sogar noch viel Ähnlichkeit mit der Kinderzeichnung, dem Indiz für ursprüngliches Sehen. Man hat die Perspektive deshalb - wiewohl sie nachweislich immer bekannt war, schon in Ägypten - nie für die darstellende Kunst verwendet, denn Kunst war immer ein Darstellen, ein Schaffen sogar des Dargestellten, und dieses war nie denkbar OHNE den Betrachter.

In dieser Zeit aber zerfällt Objekt und Betrachter - es bilden sich zwei Wirklichkeiten, die bislang immer nur eine waren und ein ganzes Bild (Objekt und Betrachter) im Zusammenwirken ergaben. Nun bildet sich im Betrachter ein Bild, während das Ding unabhängig existieren soll. Der Betrachter, der Mensch aber schließt sich fortan in sich ein. Die Welt erreicht ihn gar nicht mehr. Sein Weltbild bleibt nur noch in ihm, wo es entsteht, wo es sich ausformt - das Subjekt und die in ihm sich formende Wahrheit wird verabsolutiert. Die Dinge hören auf, das "andere" zu sein, das mit dem Betrachter korrespondiert. Die Welt wird mathematisch konstruiert.

Mit der Perspektive wird in diesen Bildzusammensetzungsvorgang direkt eingegriffen: Die Perspektive suggeriert ein Deutungsbild! Deshalb wendet sie sich in so hohem Maß der Stimmung zu, wird kulissenhaft, und kennt keine Grenze zum Betrachte: das Bild hat keine Geschlossenheit zur Welt des Betrachters, dieser wird sogar direkt in diese Bildwelt miteinbezogen: denn er "erlebt" was er sehen soll oder meint zu sehen, er steht mitten drin. Das ist ja die Technik der Perspektive - wer sich mit ihrer Konstruktion auseinandergesetzt hat weiß das.


Morgen: 2. Teil) Warum unsere Standpunkte erstarrt sind

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