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Samstag, 20. August 2011

Kanonisierung der Spießbürgerlichkeit

"Wir wollen mit dem Dichter beginnen. Dem, was der Dichter gebraucht und unsterblich macht mit seinen Dichtungen. Z. B. [Julia], das Leben sich zu nehmen aus Leid usw. Dieses kommt im wirklichen Leben bereits selten vor.

Nun kommt das Ethisch-Religiöse und erklärt jenes Ästhetische für Verzweiflung und preist so genau das Gegenteil an, z. B. an [Julias] Stelle leben zu wollen.

Aber nun kommen die Pfarrer und mit ihnen immer das Gewäsch. Sie nehmen sich nicht in acht davor, daß das rein Spießbürgerliche bloß äußerlich betrachtet eine Ähnlichkeit hat mit jenem ethisch-religiös Höchsten; Karen, Maren, Mette usw. entleiben sich keineswegs selbst, wiewohl ihrer respektiven Geliebten beraubt - ergo avancieren diese Geehrten, durch des hochgeehrten Pfarrers Beistand, um weit über Julia zu stehen.

Die Pfarrer merken gar nicht das Geheimnis: wenn eine Existenz, wie der Dichter sie gebrauchen kann, so selten ist, wie der der Dichter es behauptet: wie selten muß da nicht eine wahre ethisch-religiöse Existenz sein!  

Nein, die Pfarrer kanonisieren die Spießbürgerlichkeit. Nun, und wir Protestanten haben ja die katholische Kanonisation von Asketen, Märtyrern usw. abgeschafft - zum Ersatz werden so die Interesssenten es Spießbürgerabsuds kanonisiert, und ganz richtig, sie werden kanonisiert von jenem letzten geistlichen Orden, der im Protestantismus aufkam: den Versorgungsbrüdern."

Kierkegaard in "Tagebücher 1850"

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