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Sonntag, 18. Dezember 2011

Das Böse ist besiegt!

Es gibt kein Böses mehr - diese Botschaft darf man getrost für bare Münze nehmen, die Gerichtsverhandlung um Anders Breivik, den Massenmörder aus Norwegen, beweisen es.

Nein, da hat nicht einer willentlich 70 oder 80 oder 90 Menschen abgemurkst, kaltblütig erschossen (und hier trifft das Wort kaltblütig wirklich zu!) Hier ist nicht einer vorsätzlich und klug geplant auf eine Insel getuckert und hat seinen Munitionsvorrat leergeschossen, um den sozialistischen Feind zu treffen. Nein!

Hier hat auch nicht einer eine Weltanschauung aufgebaut, herbeikonstruiert, die in Wahrheit aus subjektiven Erfahrungen mit zerbrochenem Elternhaus eine unterbewußten Haß auf die Gesellschaft gemacht hat, der nun seine Bahn brach! Nein!

Hier hat ein Produkt des Sozialstaates nicht anders gekonnt, und weil das Ergebnis nicht erwünscht ist, wird der Ersatzteil ausgebaut, und zum Hersteller zurückgeschickt. Breivik war nicht zurechnungsfähig, und wird deshalb in eine Anstalt gesteckt. Nicht bestraft. Wobei: wer die Strafanstalten in Norwegen kennt, kommt eher auf den Gedanken, daß sie staatlich finanzierter Dauerkuraufenthalten dienen, aber keiner Strafe.

Diese Kategorie gibt es nicht mehr in modernen Zeiten. Dafür gibt es nur noch Verständnis, alle sind ja nur Opfer und Produkte gesellschaftlicher und familiärer Bedingungen, wie sollte man da jemanden für etwas verantwortlich machen? Wenn niemand - und genau das findet sich in Norwegen in einem beeindruckend fortgeschrittenen Stadium - wenn also niemand mehr Wert darauf legt, etwas zu sein, sondern alle sich bescheiden damit, nichts zu sein, um Konflikte zu vermeiden, dafür aber bestens versorgt sind, funktioniert das schon! Glauben sie alle zumindest. Die Wissenschaftler und Gesellschaftspropheten der Linken. Es gibt nur einen Feind, und erst meinte man schon, in Breivik einen solchen zu haben: die Systemverweigerer. Die Individualisten, die etwas ganz anderes suchen als Völlegefühl nach Krabbencocktails und Fernsehhighlights, die Persönlichkeit sein wollen. Fort mit Ihnen! Raus mit Ihnen!

Aber Breivik? Nein, den hat man schon integriert, in Watte gepackt, und unschädlich gemacht. Er ist nicht zurechnungsfähig. Denn wer dieses Wohlsein nicht will, der kann nur unzurechnungsfähig sein. Schließlich will doch jeder normale Mensch nur eines: Glücksgefühl? Die Psychologie sagt es doch! Glück ist eine Frage der Endorphinausschüttung. Also, rein mit der Pille, und das Leben ist bewältigt!

90 Tote? Kollateralschaden. Statistisch akzeptierte Ausschußquote. Kennt jeder, der sich mit Prozeßablaufoptimierung (ISO 9000) auseinandersetzt. 2 % Bodensatz, das ist kaum zu beseitigen, der Aufwand dafür steigt nicht nur exponentiell für diesen Rest, sondern er reduziert sich kaum, weil der Apparat beginnt sich selbst zu produzieren, und irgendwann produziert nur der Apparat mehr Fehler, als der Produktionsprozeß. Aber wir arbeiten dran.

Der Glücksfilm riß an einer Stelle. Das ist unangenehm, gewiß, also für die, die es betrifft, aber nun ist die Stelle wieder repariert. Nur niemanden beängstigen, daß es auch Böses gibt auf der Welt! Seid ganz ruhig, es gibt nur technische Abläufe, Mechanismen, und die sind da und dort einmal defekt, das ist so, damit muß man leben, aber mit jedem Fall mehr kriegen wir auch das in den Griff, wird die Maschine perfekter, lückenloser. Mit mehr Disziplin der Bevölkerung, jede außerhalb des Systems auftauchende Sonderregung zu unterbinden, auf jeden Fall.

Denn an sich geht es doch allen gut, blendend, hervorragend! Und alle sind glücklich inNorwegen, dem kleinen Paradies, das man hier aufgebaut hat, mit Petrodollars, die verantwortungsbewußt in Südamerika oder Bangladesh angelegt werden, natürlich ökologisch und fair, nachhaltig eben. Und wer nicht bekommt auch seine Therapie bezahlt die ihm alles aus dem Gehirn räumen soll, es auflösen soll, was diesem Empfinden entgegensteht. In einem Staat, in dem niemand mehr gebraucht wird, weil er durch das Nordseeöl für alle Zeiten (Gänsefüßchen) ausgesorgt hat, aber jeder alles darf.

Breivik? Ein unschuldiges Opfer. Nicht erwünscht, gewiß. Aber wer nimmt Produkte ernst? Breivik wird dafür ganz gewiß dankbar sein. Hoffentlich vergißt keiner einmal die Psychopharmaka, mit denen er niedergehalten werden wird müssen. Der arme Kerl, klar, wenn jemand so denkt wie er, kann er ja gar nicht anders. Also sollte man zuerst auch seine Weltanschauungen aushebeln, ihn von dieser Last zu denken befreien. Mit Pillen geht das ohne weiteres! Wir wollen ja nicht gleich von Laseptomie reden.

Nur: was heißt "unzurechnungsfähig"? Eben, den Bruch des Vernünftigen. Das Maß der Schuld wächst mit dem Maß der Freiheit, in der jemand aus dem Vernünftigen zurücksteigt in den Brei der Unentschiedenheit, der richtig verstanden genau der Brei des Dämonischen ist, des Chaotischen, und plötzlich das Nicht-Richtige wählt. Kraft seiner Freiheit.

Ist nicht das Böse also genau das - unzurechnungsfähig? Wir kennen Breivik nicht. Aber wie Produkte eines kranken Gehirns haben seine Thesen im einzelnen so gar nicht geklungen, sondern durchaus konsistent. Wirr, gewiß, aber nur in den Gewichtungen und Schlüssen. Wie es eben passiert, wenn jemand im Grunde längst etwas will, und weiß daß er es will, und nur daran arbeitet, dieses Wollen auch zu rechtfertigen. Dann wird das Gedankengebäude, an dem er oft energisch arbeitet, nicht organisch, sondern etwas unrund. Weil jedes Wollen unrundes Denken mit sich bringt, es umgekehrt aber gar kein wollensfreies Denken gibt, nur eine Sache, um die es geht. Und dort liegt nämlich die Freiheit des Menschen - in der Entscheidung für eine Sache. Samt allen Irrtumsmöglichkeiten. Samt allen Möglichkeiten, böse, also bewußt zerstörerisch, zu handeln. Wobei meist das Böse in uns schon daran erkennbar ist, als wir uns im Denken sehr gerne verwirren, um die Gewissenslast zu erleichtern - eine Art autochthone Entmündigung also.

Wenn die Sache freilich dogmatisiert ist, weil das Wissen dogmatisiert ist (durch den Aberglauben an eine rationalistische Wissenschaft, an ein logizistisches Denken dem es nur um richtige Summenbildung gehen kann, um eine Nachahmung von Computerprozessen also, sodaß es nicht wahres, sondern nur richtiges Denken gibt, das nur noch ein Ergebnis bringen kann) - dann ist ja ... jeder unzurechnungsfähig, der nicht das gewünschte Denkergebnis bringt?

Was fatal an den durschnittlichen Universitätsabgänger der Gegenwart gemahnt: der nicht lernt, oder angehalten wird, die ihm eigene Urteilskraft (die nur als persönliche Reife und prinzipielle Philosophie zu denken ist) zu entwickeln, wo konkretes Wissen absolut flexibel bleiben muß, weil erst aus dieser Reife überhaupt hervorgeht. Wo er also lernt, mit seinen Willen umzugehen, nein: heute ist der elitär, der lernt, vorgegebenes Wissen anzuwenden und zu "begründen," scheinvernünftig also zu machen. Das wird wissenschaftliche Arbeitsmethodik genannt.

Und je mehr dem Einzelnen das gelingt, desto mehr Anerkennung winkt ihm von jenem System, das auch seine Opposition längst integriert hat, das keinen Feind mehr kennt. Außer seine wirklichen Feinde. Aber über die wird nicht gesprochen, denn wirkliche Feinde bekämpft man durch Nichtung - also durch Ignoranz. Schlimmstenfalls erzeugen wir Notfälle, Notsituationen (jawohl, erzeugen, weil dazu interpretieren!), in denen nicht lange gefackelt werden kann, denn nun geht es ums Ganze, wurscht, ob das je so gewollt worden war oder nicht. Diese Diskussionen werden nicht geführt, sie wurden auch nie  geführt, aber jetzt ist auch keine Zeit dazu. So ist die Wirtschaftskrise und die Politik dazu zu sehen.

Fazit? Wir beginnen in der Schule, der Erziehung bei den zu habenden, von einer Kommission festgelegten Denkergebnissen. Und von dort weg arbeiten wir uns nach unten, in die Entstehungsprozesse, in die Menschen. Und dort operieren wir, am offenen Gehirn, bis die Synapsen wie gewünscht funktionieren, die gewünschten Ergebnisse stützen. Ach ja, Kreativitätsknöllchen nicht vergessen! Zellen, wie jene, in der Breivik nun kreativ werden kann. Endlich. Er konnte als Bub so gut zeichnen, wissen Sie das?

Geht einfacher, als über DenkERGEBNISSE zu streiten. Oder über Schuld und Verantwortung und Sühne und Vergebung nachzudenken. Das ist doch Schnee von übervorgestern. Als man noch dachte, der Mensch wäre frei, wäre überhaupt ... Mensch. Und nicht Zellenapparatur Zeta-Ypsilon.

Übrigens: es gab mal eine Zeit, und sie ist noch gar nicht lange vorbei, da waren die kommunistischen Systeme vor allem dadurch berühmt, daß sie Denkabweichungen als Geisteskrankheiten klassifizierten. Pauschaliter, und prinzipiell. Wer das Glück der Menschheit nicht will, wie es wissenschaftlich erwiesen ist, der muß krank sein! Also ab in die Psychiatrie, und weggespritzt, das Bewußtsein!


P.S. Angerissen, mit ähnlich aufgeworfenen Fragen, ein Artikel in der FAZ.


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