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Donnerstag, 20. September 2012

3 mal Paranoia - Ein Gesamtbild - II

Fortsetzung von gestern - Propaganda als Bildungsphänomen

3.) Jacques Ellul weist in seiner höchst intelligenten, erhellenden Untersuchung Propaganda* darauf hin, wie die ideale Zielkonstellation für Propaganda tatsächlich aussieht. Als eine Gesellschaft lebhaftesten Disputs, als eine Gesellschaft der "Intellektuellen". Wenn etwas in den letzten Jahrzehnten auffiel, dann war es genau diese Entwicklung - wir haben es heute nur noch mit Intellektuellen zu tun, jeder ist einer ... - die es zu beobachten gilt. "Bildung" im heute verstandenen Sinn ist dabei nicht das Gegenmittel, das sollen höchstens alle glauben. Sie ist nämlich die Voraussetzung für wirklich effiziente Propaganda, die ohne "Bildung" (noch einmal: wie sie heute verstanden wird) gar nicht wirken kann. Und die Anführung der Kriterien effektiver Propaganda wirkt wie eine Beschreibung der Internet-Gesellschaft, obwohl Ellul das Buch 1965 erstmals veröffentlichte. Die noch intensiver zu werden sich die EU erst jüngst auf die Fahnen geheftet hat. Dort läge ja die Zukunft. Welche Zukunft ist das aber? Es ist die Zukunft einer Gesellschaft, die steuerbar ist wie noch nie, und zwar genau auf jenen Wegen, die das Gegenteil angeblich gewährleisten.

Ellul führt die Gründe an, warum es gerade eine "informierte Gesellschaft", eine Gesellschaft der Intellektuellen ist, die die Ansatzpunkt für die Wirkmechanismen der Propaganda perfekt erbringt. Und räumt mit der lächerlichen Vorstellung auf, in die man "lenkbare Massen" als angebliches Ziel von Werbung und Propaganda gepreßt hat - ungebildet, uninformiert, nicht autonom ...  NICHT die einfachen, "ungebildeten" Menschen sind es, die manipulierbar sind. Das soll die eigentliche Zielgruppe aber auf jeden Fall glauben. Das ist Teil der eigentlichen Mechanismen der wirklichen Propaganda.
Eine Gesellschaft der Propaganda, zeigt Ellul, baut direkt auf dem Technizismus der Gegenwart auf, baut auf der Ansicht auf, daß "Information" und Erkenntnisbildung ein depersonalisierter Prozeß von Datenabgleich und mathematischer Logik ist. Denn keineswegs funktioniert die Lüge als Behauptung von etwas Unwahrem! Im Gegenteil. Lüge funktioniert durch Herauslösung und Neugewichtung von WahrheitEN. Lüge funktioniert über Logik. Jeder der mit schizoiden Gegebenheiten zu tun hatte - also eben jeder - weiß das. Ob er es rational durchdrungen hat, oder  nicht. Propaganda funkioniert aber nur, wenn die subjektiven Gewißheiten und Anschauungen ausgehebelt werden können. Denn:

  • - Propaganda braucht Menschen, die große Mengen an Information aus zweiter Hand suchen und aufnehmen. Sie braucht Menschen "im Diskurs" über öffentliche Themen.
  • - Propaganda braucht nämlich Menschen, die sich aufgefordert, ja genötigt fühlen, sich zu allem und jedem eine Meinung zu bilden, braucht also autonomistische Individualitäten.
  • - Propaganda braucht nämlich Menschen, die sich in der Lage und autorisiert dazu fühlen, sich selbständig ein Urteil zu bilden.

Das braucht nicht weiter kommentiert werden, und wendet man dieses Licht auf Erscheinungen der Gegenwart an, werden diese selbstredend zum Erweis. Die gesamte Internetlandschaft beginnt sich zu erklären, hört man den Ausspruch von Goebbels genauer und neu: "Wir reden nicht, um etwas zu sagen, wir reden um etwas zu bewirken!"Wenn sich auch die Gestalt geändert hat, die Prinzipien sind gleich geblieben. Man irrt gewaltig, würde man geistige Dinge auf ihre bloße Gestalt beschränken, in der sie sich angeblich erschöpfen.

Man muß sie in ihrer wirklichen Wirklichkeit erfassen, dann sieht man sie auch in allen historischen Gestaltwandeln - und begreift als prinzipielles und schwerwiegendes, in sich lebensfreindliches, aber insgesamt soziologisches und historisch begreifbares Problem, das unsere gesamte Gesellschaft erfaßt hat. Sie ist nicht einfach, wie meist getan wird, auf psychologische Mechanismen reduzierbar. Die Verletzung der Integrität des Menschen macht ihr "Böses" aus, nicht, ob mit ihrer Hilfe "Gutes" oder "Schlechtes" bewirkt werden soll.

Wer Propaganda einsetzt, will den anderen in eine Maschinerie integrieren, ja ihn selbst zum fortwirkenden Faktor machen. Sie hat also mit "Werbung für etwas" überhaupt nichts zu tun. Sie konzentriert sich auch nicht auf Antworten, versucht "falsche Fakten" zu implementieren. Denn sie benützt sogar diese Wahrheiten, ja braucht sie: nur so kann sich das Zielobjekt der Propaganda selbst überzeugen, und das ist notwendig.

Aber noch mehr: diese Personengruppe, wie sie oben getroffen ist, braucht - buchstäblich! - Propaganda, ja verlangt danach. Denn ihr Selbst braucht diese Wirkkräfte, um sich zu erhalten. Der autonomistische Mensch der "Intellektualität" ist genau der Massenmensch, herausgerissen aus allen Verwurzelungen und damit seiner Natur entfremdet. Die Propaganda gibt ihm wieder die Eingebettetheit in ein Allgemeines (und nur das Allgemeine ist ja das Wahre, weil der Mensch in seinem Denken das Eine sucht!), gibt ihm persönliche Involviertheit, Lebenssinn und -zweck, gibt ihm Teilhabe an Vorkommnissen, die "wichtig" sind, und damit ihn wichtig machen. Die Propaganda hält ihn in einer Sendung. Ist der Mensch einmal in diesem Kreislauf gefangen, dem er selber beitritt, gibt es keinen Ausweg mehr: Die Wirklichkeit bleibt ihm fremd, er dringt in sich nicht mehr zu ihr durch, verbleibt zwar in ihr, aber als Objekt.



*(das im französischen Urtext die Mehrzahl des Wortes zum Titel hat, ins Englische läßt sich das aber so nicht übertragen; eine deutsche Übersetzung ist dem Verfasser dieser Zeilen nicht bekannt)


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