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Mittwoch, 12. September 2012

Abschaffung der Person

Schon anläßlich der "Verurteilung" des norwegischen Massenmörders Anders Breivik war der Halter dieses Blogs versucht, sich dazu zu äußern. Denn es kann doch nicht sein, daß jemand, der 77 Menschen kaltblütig erschießt, mit 15 Jahren Freiheitsentzug "bestraft" wird, der in norwegischen Gefängnissen heißt: 15 Jahre, wenn überhaupt, bezahlte Freizeit in einer mit allen Rafinessen ausgestatteten Kurheimes zu verbringen, das er in bestem Mannesalter, mit zwei Studienabschlüssen versüßt, mit denen er seine Haftzeit auf Anregung der Resozialisierungskommission "sinnvoll" nutzte, wieder auf freien Fuß gesetzt wird.

Nun ergibt sich dasselbe Problem erneut, und zwar aus Anlaß der Diskussion um die sogenannte "Fußfessel", die die Justizministerin mit frappierender Naivität als "Strafe" zu verkaufen sucht. D. h. der Täter bekommt eine Manschette die etwa in der Größe eines Schweißbandes ist, um das Fußgelenk gebunden, ist jederzeit ortbar, und darf ansonsten wieder nach hause gehen. 

Dazu gibt es nun doch Reaktionen. Wie in dem wirklich ausgezeichneten Artikel im Standard, aus der Feder von Peter Weibel, zu dem man nichts mehr sagen müßte. 

Weibel schreibt, daß diese Praxis nur noch der nächste Schritt einer Entwicklung ist, die schon seit langem das Strafgesetzbuch mehr und mehr zur Farce macht. Längst werden dort vorgesehene Strafausmaße zur bloßen Makulatur, durch routinemäßige Straferlässe - aus 30 Jahren werden 15, aus 12 - 6, usw. usf., zur Sinnlosigkeit ausgehebelt. Das sei, so der Kunstprofessor, Künstler und "Medienkritiker", eine Auswirkung des Praxis, Politiker so vor Strafverfolgungen abzuschirmen, daß dies sittenverbildend wirke und gewirkt habe. Das Strafgesetz werde zum Selbstbedienungsladen der Politik.

Vor allem, so Weibel, werde der Begriff der Strafe ad absurdum geführt: denn Strafe heiße allemal noch Wiedergutmachung, ja sogar das Wort "Buße" finde sich immer noch im Sprachgebrauch. Nunmehr aber könne sich jeder Täter zuhause vor dem Bildschirm ausstrecken und sein Bier genießen, im Kreise seiner Lieben. Während jedes Opfer sich verhöhnt fühlen müsse. Denn zum Schmerz habe es auch die Folgen zu tragen - während der Täter praktisch ungeschoren davon komme. Daß es, so Weibel, kein Wunder sei, daß zwar immer mehr Anzeigen von Vergewaltigungsdelikten zu vermelden seien, aber kaum noch Verurteilungen, sei nur zu logisch.

Leider führt Weibel einen weiteren wesentlichen Aspekt der Strafe nicht an: den der Sühne, die auch mit die Wiedergutmachung hineinragt. Der Schmerz der Sühne muß in einem adäquaten Verhältnis zum erlittenen Schmerz des Opfers stehen, wo immer es möglich ist ist auch Wiedergutmachung zu leisten. Nur so hat Strafe überhaupt einen Sinn.

Wie weit Weibel sich damit aber aus dem Fenster gelehnt hat, und das ist ihm hoch anzurechnen, zeigt sich, wenn der geneigte Leser dieser Zeilen es wagt, auf die Reaktionen der Leser zu blicken, die sich im Anschluß an den Artikel als Postings finden. Die einen erschütternden Abgrund eröffnen. Nicht nur durch die Beschimpfungen, die Weibel da über sich ergehen lassen muß.

Sie zeigen, daß der Begriff von Strafe bereits vollständig verschwunden ist! Und mit ihm, oder ihm zugrundeliegend, nämlich der des Täters, ja überhaupt der Tat. Taten passieren einem nur noch, sie sind nicht mehr zu verantworten, ihre Folgen werden n jeder Hinsicht sozialisiert, so wie alle Menschen nur noch Teil einer amorphen Masse sind. Gedanken sind nur noch Schlaglichter eines ununterbrochenen allgemeinen Sprachstroms, in den alle eingebettet sind, ohne Pause. Entschlüsse zur alternativlosen Logik von mechanistischen Systemen. Und ohne daß man sich's versieht ... ist überhaupt die Person, das Subjekt verschwunden. Aufgelöst. Nicht mehr vorhanden, außer als Metapher.

Aber kann das auch anders sein? Entspricht das nicht genau dem Lebensgefühl, das heute vorherrscht? Und das der hier zur Metapher gewordene Sozialstaat auf eine kaum zu glaubende Weise gehirnwäscheartig (!) implementiert hat und nach wie vor implementiert? Wo ganze Generationen bereits mit der Grundhaltung aufwachsen, daß sie für nichts in ihrem Leben verantwortlich seien, daß für alles andere, und in jedem Fall der Staat, zuständig sei? Sie hätten nur noch das Recht, in einer allgemeinen Wolke von Wohlbefinden mitzuschweben. 

Wie soll außerdem der Mensch, der als Produkt einer ziellosen Evolution daherkommt, und genauso wieder verschwinden kann, so die Mär, überhaupt als Subjekt gesehen werden können?

Also bleibt "Staat", ja der "andere", nur noch eine pragmatische Einrichtung, die als Servicestelle je nach Belieben zu dienen habe. Wer immer egal welches Wohlbefinden störe, ist zu elimineren. Väter genauso, wie Arbeitgeber oder Bekannte. Wer immer Anforderungen stelle, was immer Mühe koste, sei im Unrecht, wer immer Verantwortung fordere, bekommt es mit einem undefinierbaren Konglomerat an Gesellschaftsprodukt zu tun, das zu keiner Verantwortung in der Lage ist. 

Denn nicht nur die Strafe, nicht nur der Täger, nein, die Person ist abgeschafft. Identitäten werden zu Wahlobjekten, die man dem Katalog (bzw. dem Internet) entnimmt, Handlungen zu Ansprüchen, deren Gelingen andere zu gewährleisten hätten. Missetaten? Fehlanzeige. Strafe? Wie soll jemand, der nichts ist, bestraft werden? 

Sieht man sie nicht schon, die "Straftäter", wie sie in den Jugendtreffs ihre Fußfessel zeigen, als hätten sie gerade den Maria Theresien-Orden verliehen bekommen? Endlich etwas, das sie zu Individuen macht.

Und die Opfer? Psychotherapie, das wird man auch auf Staatskosten schon wieder einrenken. Und sei es durch Drogen auf Rezept. Und viel Geld. Vom Staat. Wunsch nach Gerechtigkeit? Das sollte man bei Opfern zusätzlich gleich mittherapieren. Wir wollen doch nicht inhuman werden und so reaktionäre Konzepte verfolgen.




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