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Mittwoch, 5. September 2012

Marktgesetz

Die Lebensmittelpreise steigen. Das spürt man, das hört man. Für das kommende Jahr sei eine Unterversorgung mit Getreiden zu befürchten. Aber war noch vor einem Jahr die Produktion von Benzin aus Getreide der Bösewicht, so schwenkt nun die öffentliche Argumentation: nein, es sei der gestiegene Nachfrage nach Fleisch. Denn mittlerweile wird ein überwiegender Teil der Getreide als Futtermittel verwendet, mit einer Verschlechterung der Energieausbeute am Weg zum Fleisch auf 1/6. 

Aber diese Argumentation ist schlichtweg falsch. Nicht nur deshalb, weil Fleisch auch weit mehr und höherwertige "Energie" liefert, wenn man schon auf dieser technischen Rechnung bleibt. 

Sie beruht auf einer rein mengenmäßigen, rein mathematischen Gegenüberstellung, die aber die wirklichen Faktoren nicht berücksichtigt. Denn der Markt verhält sich nicht so, nicht in diesem Fall. Wenn nämlich, wie bei Getreide, die weltweite Produktion in etwa dem Verbrauch entspricht, bleibt ein Preis so lange stabil, als die Produktion diesen Bedarf gerade decken kann. Wenn alle Käufer alle Nachfrage gestillt bekommen, wenn alle Produzenten (gerade noch) fürchten müssen, ihre Produkte nicht an den Mann zu bringen, weil es auch andere Lieferanten gibt, bleiben die Preise stabil.

In dem Moment aber, wo die Produktion knapper an die Marktsättigung herangeht, und fällt - wie es heuer der Fall war, wo Rußland (mittlerweile einer der größten Lieferanten am Weltmarkt) und vor allem die USA schlechte Ernten vermelden - beginnt die Angst um Unterversorgung die Preise zu bestimmen. Und in dem Augenblick wo auch nur um ein Geringes der Bedarf (und sei es: möglicherweise) in Gefahr steht, nicht gedeckt werden zu können, beginnt ein Hebel zu wirken, der JEDES Angebot am Markt verteuert.

Diese "Mechanik" gilt nicht nur für Lebensmittel, dort aber noch stärker, weil hier viel elementarere Ängste zu wirken beginnen, als bei sagen wir Autos oder Schnüdelriemen für Schraubenquetschpasten. Hier wiegt vor allem das Verhalten einzelner Käufer viel drastischer - wie Ägypten, das zur Versorgung seiner 100 Mio Einwohner in hohen Mengen Getreide am Weltmarkt zukaufen muß, und wohl aus dem Vorjahr gelernt hat. Wo es erstmals in der Gefahr stand, unterversorgt zu sein, weil Getreide am Weltmarkt knapp, die Regierung aus naheliegenden Gründen säumig war. So, wie schon seit Jahren Nahrungsgetreide immer knapper wird, WEIL die Biospriterzeugung immer größere Mengen benötigt. Deshalb war ja schon im Vorjahr überall die Rede davon, daß die Getreidepreise empfindlich steigen würden. Und zwar genau aus hier geschilderten Gründen!

Deshalb kann man nicht einfach Gesamtmengen und Preise gegenüberstellen. Preise entwickeln sich nicht einfach linear. Sie orientieren sich auch, manchmal sogar vor allem, an einer Art "Fixgröße", nämlich der Bedarfsdeckung. Und deshalb bereits an deren "Rand der Gefährdung der Bedarfsdeckung". Ab da beginnen sie ein Leben nach ganz neuen Gesetzen. 

Deshalb muß nach wie vor gelten, daß ein an sich unsinniges Verhalten - einmal, weil immer wieder sind Berichte zu finden, die die vorgebliche Zielsetzung des Getreide-Benzins, die Senkung des CO2-Ausstoßes, als Schimäre entlarven, denn über den Gesamtwirkungskreis gesehen passiert sogar das Gegenteil, zum anderen, weil es ein ungeheurer Frevel ist, mit Lebensmitteln so umzugehen! - die nahezu alleinige Schuld an der derzeitigen Preissteigerung für Getreide am Weltmarkt trägt. Erst sie machen Spekulationen auf eben diese Engpaß-Grenze sinnvoll und wahrscheinlich, erst so beginnen Spekulationen interessant zu werden. 

Bei aller Vorsicht, die bei solchen Meldungen generell angebracht ist, und jede Urteilsfindung im Rahmen eines Blogs wie diesem nur zur Modellrechnung werden lassen. Denn angenommen, es herrschte Überproduktion - schon darf sich der geneigte Leser die Schreibstuben der PR-Abteilungen der Saatgutkonzerne im Stress erstickt vorstellen. Um die ausgebluteten, nach "News" gierigen Medienredaktionen mit Meldungen zu versorgen, daß Unterversorgung drohe, um die Preise nicht abstürzen zu lassen. Aber das soll nur einen der Faktoren andeuten, die hier ganz gewiß mitwirken.

Aber noch etwas zeigt sich, und das hat zum einen mit der Entwicklung der Welt in allen Bereichen hin zu kritischen Gesamtsystemen zu tun, und zum anderen mit dem Verlust der unteren, lokalen Einheiten, sich selbst zu regulieren, zu tun. Denn mit einem mal steigen auch in Europa, in Österreich, in Ungarn die Preise, obwohl man hier keineswegs eine zu geringe Getreideernte zu verzeichnen hat!

Während umgekehrt die Entwicklung der Weltpreise im Rahmen eines Weltmarktes die Lebensmittelpreise hierzulande ohnehin so verzerrt hat, daß die Preise den Marktgegebenheiten überhaupt nicht mehr entsprechen. Denn natürlich ist Fleisch zu billig, natürlich ist auch Getreide zu billig. Dahinter steht aber kein Markt, sondern politischer Wille, der über Steuerung des Verbraucherverhaltens in der Geldverwendung meint, Wirtschaftspolitik betreiben zu müssen. Um genug Geld zu produzieren, damit dieses Geld den Staaten ermöglicht, über Abhängigkeiten Bereiche zu steuern, die gar nicht die ihren sein dürften. Und die nun von der durchbrechenden Dynamik der Marktentwicklung überrannt werden.


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Wie zur Bestätigung traf dieser Tage ein Brief eines lieben Verwandten des Verfassers dieser Zeilen ein - Betreiber einer Mühle, Nachfolger in 4. Generation. Er bestätigt alles, was sich oben dargestellt findet: Es ist die Biosprit-Produktion, die mit ihren derzeit 1 Mio t Getreidebedarf pro Jahr - nur in Pischelsdorf bzw. Österreich! - die Preise regelrecht anheizt. Alleine in den letzten Augustwochen stieg der Preis für Trockenmais von 180 Euro/t auf 280 Euro/t, Österreich kann sich erstmals nicht mehr selbst mit Lebensmittelgetreide versorgen und muß substantiell importieren. Die Aussagen des Landwirtschaftsministeriums seien eine glatte Lüge, schreibt er, und bezahlen, bezahlen müssen das wir alle! Er selber, fügt er hinzu, sei gerade aus den USA zurückgekommen, wo die Diskussion "Tank oder Teller" gleichfalls allgegenwärtig sei. Durch den Maisbedarf der Spritproduktion, die die Preise in die Höhe schießen lasse und gleichzeitig Mais von überall zukaufe, würden nämlich heuer Millionen Mexikaner (wo selbst Brot aus Mais hergestellt wird) ins Elend gestoßen.


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