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Samstag, 22. September 2012

Sprache und Leben

Lesen, schreibt Walter Ong, isoliert. Der Lesende rekonstruiert über die Zeichen, die er vor Augen hat, und bleibt (weitgehend) in seinem eigenen Denk- und Wahrnehmungshorizont. Weil das Kommunikable enorm reduziert ist. Der Leser spricht (leise), und was er liest ist also, was er aus sich selbst hört!

Im Sprechen aber ergibt sich Gemeinschaftlichkeit unweigerlich: der Ton, auf dem Sprache beruht, steigt aus dem Innersten eines Menschen, und in diesem Modus kann er niemals wirklich täuschen. Der Ton stellt den Sprecher in seinem Innersten dar, sodaß die Sprache - wo das Wort sich bereits wieder zum Ton verhält - bereits zur ausgeprägten Landschaft seines Selbst wird. 

Der Zuhörer nimmt also in seiner inneren Tätigkeit - in der er den Hörreiz nacherlebt, und daraus die Erkenntnis gewinnt, als eigene Erkenntnis, in seiner Stellung zum Lebendigen, das ihn durchdringt, und von all seinen Sinnen zusätzlich beleuchtet wird, denn er wird mit dem "Anderen" fast überwältigt, es versetzt ihn in "Schwingung", zu der er sich verhält - am Sprecher teil.

Fragen der Glaubwürdigkeit stellen sich völlig anders, und sie stellen sich in der alles sprachliche Denken bereits vorprägenden Gewißheit, wenn man hört, verglichen mit dem Lesen. Auch bei letzterem in Abstufungen, gewiß, denn der Unterschied von der handgeschriebenen Botschaft zum Bildschirm ist neuerlich ein Weg des enormen Verlust an sinnlicher Ganzheit. Das Bewertungskriterium eines Bildschirmtexts liegt bereits fast ausschließlich im Rationalen, das schon alleine durch die Logik des Mediums selbst (Computersprache, Programmierlogik) den Verlust der Ambivalenz der Kommunikation an sich mit sich bringt. Es ist aus Untersuchungen bekannt, daß Computerkommunikation äußerst rasch Entscheidungsfindungen auf zwei Alternativen einengt - zum berühmten Schwarz/Weiß-Denken.

Wer die Entwicklung von Internet-Foren verfolgt - und dazu gehören auch Foren wie Wikipedia - wird deshalb feststellen, daß sie sich ausnahmslos zu unerbittlichen Kriegsschauplätzen entwickelt haben, in denen sich unversöhnliche, zunehmend erbittert verteidigte Meinungen, ja Postulate gegenüberstehen. Speziell in Österreichs Tageszeitungen, auf der Grundlage der hiesigen psychosozialen Situation, haben sich die Foren - als Beleg - ausnahmslos zu regelrechten Höllen der Gehässigkeiten entwickelt.

Dies ist nicht als Ableitung realer Gefühle, die sonst auch entstanden wären, zu sehen, wie es oft in unlauterer Absicht versucht wird zu instrumentalisieren. Sondern diese Positionierungen sind die logische Folge der "Information" durch diese Medien selbst, die Radikalismen "züchten". Wo Meinungen, die zu ja-nein-Prozessen degenerieren, kaum noch als Darstellungen in aller umfassenden Realität ablaufender Prozesse gelten können. Sie mutieren zu Gefechten von auf rationale Vorgänge reduzierter Sprache, die ein Eigenleben annehmen. Deren angebliche Wirklichkeitsrelevanz tagtäglich damit weiter zum positivistischen Dogma ausgebaut wird.

Wir glauben zunehmend an die Relevanz des Internet - auf diesen Nenner kann man es bringen - weil wir glauben wollen und weil wir glauben SOLLEN, daß es für unser Kommunikation (und damit die Einheitsfindung) relevant ist. In Wahrheit zerfällt damit die noch vorhandene, nur auf ganzheitlicher Kommunikation mögliche Einheit der Menschen, in einer immer totaleren Isolation.

Weil mit dem Glauben an die Wirklichkeitsrelevanz des Internet auch die Flucht aus der Persönlichkeitsmühe, die Kommunkation mit sich bringt, umso leichter möglich ist: Mechanik, Maschinen, verwandeln eben auf rationalistische, zweckbestimmte Vorgänge reduzierte menschliche Tätigkeiten zum Objekt, und lagern sie aus. Tecnizismus bedeutet, diese Vorgänge und Prozesse für Wirklichkeit an sich - nicht für einen sehr beschränkten Spiegelaspekt - zu halten. Und in diesem Fluch wird diese Reduktion tatsächlich zum Rückwirkungsfaktor, der auch die Strukturen unseres Selbst ihm gemäß umgestaltet.

Der einen realen Sprecher Hörende wird von ihm verwandelt, sonst könnte er ihn nicht hören. Und er verhält sich dazu, gemäß seiner Urteilskraft. Diskurs, Gespräch wird zu einem menschlichen Vorgang, in dem sich durch dieses menschliche Verhalten schon Gemeinschaft ergibt.

Der auf Logik reduzierte Leser hat das Feld, auf dem er sein Urteil trifft, so reduziert, daß ihm nur noch diese mathematische Logik (der Programmiersprache! Siehe u. a. F. Kittel!) bleibt, mit der er den Schreibenden ebenfalls identifiziert - zwanghaft, und in seinem Erleben seltsam ungenügend, deshalb diffus affizierend. Am Feld des Absoluten wird somit jede Frage um richtig oder falsch zur Existenzfrage, zur Frage auf Leben und Tod. Das Internet als Kommunikationsplattform (nicht als sehr beschränkter Meinungsaustausch, wo beide Beteiligten wissen, in welchem Umfang das überhaupt möglich ist) produziert deshalb unweigerlich ... den Fanatiker.

Das Hebräische dabar - "Wort" - meint zugleich eine Tätigkeit, ein Ereignis. Jesus, das fleischgewordene Wort, hat nicht eine Silbe aufgeschrieben, obwohl er sehr wohl lesen und schreiben konnte, wie das Neue Testament berichtet. Der Buchstabe tötet, heißt es im 2. Brief an die Korinther, es ist der Geist, der lebendig macht. Und im Römerbrief heißt es: Glaube kommt vom Hören! Nicht vom Lesen. Und nach wie vor wird die Heilige Schrift im Gottesdienst VERLESEN, damit sie gehört werden kann.

Schrift ist ein sekundäres Zeichen, das sich auf das gesprochene, lebendige, ganzheitlich vermittelte Wort bezieht, und bezieht sich auf die volle Wirklichkeit des im Ton Gehörten. Und das Wort Zeichen hat in seiner indogermanischen Wurzel die Bedeutung von "Folgen", weshalb auch die Ursprünge der Schriftsprache das pictum war, das Symbol (wie nach wie vor im Chinesischen). Das in der Buchstabensprache zerlegt, rationalisiert wurde, kaum noch mehr als in Namen in der Ganzheit der Sprache als Ton weiterbesteht. Nur der Ton, das Ereignishafte, läßt uns erfassen, daß alle Wirklichkeitsbezüge Zeit als Erlebniseinheit und -wirklichkeit - nicht als rationale Konstrukte - erfahren lassen. (Was ist "Mitternacht"?) Gesprochene Wörte fliegen deshalb, sind lebendig. Der Leser nimmt an dieser Wirklichkeit nur teil in dem Maß, als er selbst diese Lebendigkeit wieder abrufen kann, durch Transformation des Geschriebenen in einen Hörakt. Die Logik der Sprache (und damit ihr "Informationsgehalt") ergibt sich deshalb nicht aus den Zeichen selbst - sondern nur mit lebendigem Bezug zum Sprechenden.

Der Erkenntnisgehalt des Internet in seiner Art als Medium (unabhängig von den "Plattformen" etc., auch social media, in eigenen Geräten, sind deshalb Internet-Medien, sie beruhen auf derselben Logik, ja spitzen weiter zu) ist deshalb - ohne bereits bestehende lebendige Wirklichkeit im Leser, aus realem Bezug zum "Kommunikationspartner", den das Internet bestenfalls und punktuell (und meist nur äußerst sparsam einzusetzen, weil ihre Logik enorm rasch zurückschlägt und uns formt!) ergänzt - fast zwangsläufig ein bloßer Zufriedenheitsakt mit sprachlich-rationalistischer Logik, ein Abgleich abstrahierter, funktionalistischer Datensätze.

Wo im "Funktionieren" der Bedienungsvorgänge eine nur scheinbare, zweitwirkliche, vom Leben selbst bereits abgelöste Lebendigkeit - als "Richtigkeit" von Gedanken - erfahren wird. Der eigentliche Inhalt aber, der hinter einem wahrhaftigen Text steht, ist nur im persönlichen und situativen Erleben erfahrbar.

Als schlagender Erweis dieser Behauptungen muß die Beobachtung dienen, daß zunehmend "Aktivitäten", ja politische "Bewegungen" ans Tageslicht treten, die gar keine Inhalte mehr haben, sondern nur noch leeres "Funktionieren" (auf der Basis der "Kommunikation" im Internet) demonstrieren. Und in dieser Inhaltsleere wirken sie tatsächlich destruktiv. Praktisch sämtliche "Revolutionsbewegungen" der letzten Jahren zeigen ganz exakt diese Charkteristik: Funktionalitäten (aus denen man das Erfahren von Leben herauszupressen versucht) ersetzen die Inhalte. Und sei es im sinnlosesten Flashmob, dem häufig irgendwelche "Anliegen" umgehängt werden, oder Schlagworte (wie "Demokratie"), um diese Leere zu verschleiern. Dieses menschliche Verhalten ist ja auch keineswegs neu, es tritt nun aber als gesamtgesellschaftliche Tendenz auf, war früher nur das, was es ist: temporäre Begleiterscheinung z. B. in der Pubertät, wo der Handlungsimpuls noch keine Form gefunden hat.

Dieses situative Element bleibt im Internet das Erleben des Funktionierens der bloßen Technik des Computers. Das zu "erleben" ein immer rascher revolvierender Impuls wird (worin die sogenannte Internetsucht gründet), weil er den wirklichen Mangel an Leben nicht ausgleichen kann, sondern nur noch drängender macht, sodaß das Erleben des Funktionierens von Technik zur Selbsttäuschung über die Aktualisierung von Leben (das in und an sich Erleben ist) führt. Mit klaren Indizien - wie der Ausdrücklichkeit, mit der "Inhalte" postuliert werden, Handlungsinhalte, die aber nie wirklich gesetzt werden. Womit tatsächlich reine Phantomwelten entstehen, deren Relevanz nur noch aus Postulaten und identitär, existentiell verklammerten, dogmatischen Weltbildern besteht, die die Selbstentfremdung des Benützers bis ins größte denkbare Extrem treiben. Wie selbst herkömmliche psychologische Befunde belegen, wenn sie "Narzißmus" (Selbstobjektivierung eine vermeintliche Rettung in der Entfremdung von sich selbst) als DIE Zeiterscheinung befinden.




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