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Freitag, 19. Oktober 2012

Medien als Charaktererscheinung

Propaganda auf das Einzelwirken von Inhalten, auf spezifizierbare Meinungsbeeinflussung, etc. etc. zu reduzieren, verkennt fatal das Wesen der Propaganda. Denn selbst dieser Glaube der Begrenztheit ist bereits Teil des Syndroms des "Propaganda-Charakters", wie Jacques Ellul ihn nennt.

Beginnend mit den elementaren Umbrüchen im frühen 19. Jhd., hat sich aber eine psychologische Gesamtsituation ergeben, die den BEDARF nach Propaganda mehr und mehr steigen ließ, und nach wie vor steigen läßt. Heute haben wir es sogar mit dem Phänomen zu tun, daß so gut wie jede Lebensäußerung (auch psycho-immanent) bereits Propaganda-Charakter HAT. Noch einmal: Nicht, indem Fakten erfunden werden, Propaganda lügt nicht über falsche Fakten, sondern indem gerade eben nachprüfbare Fakten in andere Zusammenhänge gestellt und instrumentalisiert werden. Dadurch entsteht eine völlig irreale Welt, die "seltsamerweise" aus lauter "nachprüfbaren Teilfakten" besteht. (Wie könnte man unsere Gegenwart besser beschreiben?)

Warum? Weil die Konstitution des Selbst - entwurzelt, aus dem rein immanenten Lebensvollzug entrissen - als Bewußtheitsakt auch das Denken aus dem genuinen Vorgang der (an sich erst stillen) Wirklichkeitsbegegnung herausgelöst, und auf die Ebene des rationalen, intentionalen Diskurses gedrückt hat. Zunehmend wurden nur noch "konstruierte" Selbste Modi des Daseins, ja "notwendig", weil sonstiger Halt wegfiel. Die "Denkbewegung" ist nur noch Ausdruck der persönlichen Absicherung - und damit: im Massenselbst.

Subjektives, genuines Bedürfen und reales Handeln beginnen zunehmend auseinanderzuklaffen, was nächste Rechtfertigungsmechanismen in Gang setzt.

In der Propaganda (bzw. "Informationswelt") werden diese "intellektiven" Inhalte, die in Wirklichkeit dem Einzelnen überhaupt nicht durchschaubar sind (man denke nur an "Klimawandel", "Wirtschaftskrise"*, etc. etc.) emotional aufgeladen, auf verschiedene Weise (Ersatzhandlungen vor allem) zur "Wirklichkeit" gemacht, das heißt, sie bekommen "Handlungsgewicht". Das Leben wird zu einer Simulation von Leben, durch die Massenmeinung bekommen sie "Körper", werden zu einem Gruppenselbst, das den einzelnen integriert, der von dort her sein eigenes Selbst(bewußtsein) bezieht, indem er dazugehört. Und im Informationszirkus gehört jeder irgendwo dazu.

Im selben Maß steigt also das Bedürfnis  nach "Information", und damit nach Fakten und Interpretationen aus zweiter Hand. Die Prioritäten, was im Leben wichtig ist, verschieben sich elementar, ein öffentlicher "Diskurs" entsteht, in dem es "wichtig" wird, eine "Meinung" zu haben, das heißt: eine Position einzunehmen.

Daraus entstehen erste Entfremdungskriege, wie er sich im 1. Weltkrieg in dieser ungeheuren Dimension zeitigte. In denen die Technik des Krieges nur noch vollzieht, was längst erlebt und erfahren wird: Das Individuum schwindet, verliert jede Bedeutung. Masse zählt, und Massenverhältnisse. Der 1. Weltkrieg war nur noch eine solche Masenabwaage. Aus Menschen, die sich selbst und sukzessive alle ihre Lebensvollzüge in diese Sphären abstrahiert haben. Selbst die Religion.

Verfolgt man diese Entwicklung weiter, über 2. Weltkrieg und Kalter Krieg, fällt parallel, historisch im Gleischschritt abgestimmt, die enorme Ausweitung und Bedeutung der "Informationsmedien" auf. Denn dieses Charakterbild der Zweitwirklichkeit BRAUCHT "Information", lebensnotwendig, aus seiner Grundhaltung, nicht wegen ihrer Inhalte. Und in dieser Linie liegt sogar historisch ganz exakt der Bedarf nach einem Massenmedium wie Internet und Social Media. Social Media-Charakter und Propaganda-Charakter sind zu 100 % deckungsgleich.

Propaganda als Inhaltsvermittlung zu sehen geht völlig an ihrem Wesen vorüber. Noch dazu - eine Begleiterscheinung der Demokratie - wenn mehrere Sichtweisen vermittelt werden. Der Konsument, das "Opfer" stumpft dann nämlich zwangsläufig ab. Aber nur den Inhalten gegenüber, nicht in seiner Grundhaltung, man täusche sich da nicht: er lebt längst in der Grundhaltung der permanenten Aufgeregtheit, der immanentisierten Sensibilität für Propaganda, um jederzeit und irrational (weil sich entfremdet, psycho-strukturell also aber durchaus "rational") zu handeln.

Würde die Propaganda verschwinden, und das zeigen alle Untersuchungen auf die Wirkung des Entzugs von Social Media beispielhaft, bleibt eine ungestillte Erregung zurück, die nach Wegen der Sättigung sucht. Wem würde da nicht die Sinnlosigkeit von Flash-Mobs, von Protestbewegungen, jüngsten Studentenprotesten etc. einfallen? Um nicht das Stichwort - als Kategorie - "arabischer Frühling" zu bemühen.

Bezieht man in diesen (ersten) Kurzüberblick noch die Entwicklung des Bürgertums** im 19. Jhd. mit ein, so zeigen sich dieselben Erscheinungen: das Bürgertum der Neuzeit IST in sich bereits eine solche entfremdete Welt, eine Welt der Propaganda-Charaktere. Dementsprechend sind in der Adoleszenz psychische Krankheitsbilder wie Schizophrenie millieubedingt versteh- und nachvollziehbar. Ähnliches würde passieren, würden sämtliche Medien mit einem Schlag verschwinden.



*Nur als kleines Bonmot dazu: Es gibt MINDESTENS (gezählte) 300 wissenschaftlich ausgearbeitete Wirtschaftstheorien, wie, warum, in welchen Abläufen und Zusammenhängen Weltwirtschaftskrisen entstehen, die sich oft völlig widersprechen und ausschließen. Und dennoch haben die meisten Bürger eine ausgeprägte Meinung, trauen sich die meisten zu, politische Maßnahmen zu bewerten und zu wählen ... und dennoch sind heute die meisten Menschen "ohne richtige Information" handlungsunfähig!

**Das Bürgertum ist durch und durch eine Erscheinung des Technizismus. Die Arbeiterschaft, das Proletariat (als deren Vermassung durch Entfremdung) wurde erst in dem Maß propagandiesierbar, als sein Lebensstandard stieg - um Medien zu konsumieren.




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