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Freitag, 2. November 2012

Den Himmel erfahren

Er war ein Skeptiker, der zwar Ostern und Weihnachten in die Kirche ging, aber nicht an überirdische Offenbarungen glaubte. Sein Leben widmete er der Gehirnforschung, der Leser weiß schon - dem "Beweisversuch", daß alles Menschliche lediglich interzelluläre (letztlich physikalische) Prozesse wären, unser Bewußtsein eine einzige epiphänomenologische Selbstttäuschung physiologischer Mechanik. Und schon gar Nahtoderfahrungen: Das Gehirn reagiert in solchen Stressmomenten mit einem wahren Neuronenfeuer, die der Mensch in Todesnähe dann entsprechend in Bilder kleidet. Fällt das Gehirn aus, fällt der Mensch - zumindest sein Bewußtsein, und damit sein Menschsein - aber aus. Weder gibt es uns, noch überhaupt etwas, das kein rein mechanischer Prozeß wäre. Über dessen zufällige Herkunft niemand etwas sagen kann, dessen Sinn deuten zu wollen sinnlose, ja selbsttäuscherische Spekulation ist. Schilderungen von Patienten, die über Nahtoderfahrungen berichteten, tat also auch der 58jährige als reine Produkte der Phantasie ab.

Eben Alexander, Jg. 1954
Nun denkt er anders. Der amerikanische Gehirnforscher Eben Alexander wachte nämlich eines Morgens mit enormen Kopfschmerzen auf, fiel bald in eine Art epileptischen Zustand, und verlor das Bewußtsein. Man brachte ihn ins Krankenhaus, und binnen Stunden fiel er in ein Koma - eine seltene Form von Meningitis war ausgebrochen.

Der Körper lag wie tot und an Schläuche angeschlossen auf der Intensivstation. Der Neocortex, der Sinneseindrücke verarbeitende Teil der Großhirnrinde, reagierte nicht mehr. Denken und Wahrnehmungen sind in diesem Zustand unmöglich, auch Halluzinationen in Folge verabreichter Medikamente.

So sieht es zumindest die Neurophysiologie. Sodaß man sich am siebten Tag entschloß, die Zufuhr von Antibiotika einzustellen, es war aussichtslos. Er würde, wenn er überhaupt weiterlebte, ein auf bloße körperliche Funktionalität reduzierter Rundum-Dauerpflegefall bleiben, bestenfalls. Das Gehirn war zu schwer geschädigt, die Wahrscheinlichkeit daß er sterben würde bezifferten die Ärzte mit 97%. Da stürzte der zehnjährige Sohn auf den Daliegenden, umarmte, liebkoste den reglosen Vater: "Du wirst wieder gesund, Du wirst wieder gesund!" Und in diesem Moment ... erwachte der. Deutete, man möge ihm den Atemschlauch aus dem Mund nehmen, und begann zu sprechen: "Danke."

"Meine Erfahrungen haben mir gezeigt, dass der Tod des Körpers und des Hirns nicht das Ende des Bewusstseins sind, dass der Mensch Erfahrungen macht über den Tod hinaus," schreibt er heute.

Denn das Seltsame war: Eben Alexander war nie "bewußtlos" gewesen. Er hatte weitergelebt, tief drinnen, oder drunten, wie man halt sehen will, war er immer er selbst geblieben. Und er war sich dessen bewußt gewesen, die ganze Zeit über. Und in dieser Zeit hat er etwas erlebt, das er nie für möglich gehalten hätte. Es hat sein weiteres Leben verändert, wie er in seinem Buch "Proof of Heaven" schildert. Er erlebte nämlich den Himmel. Nicht zuerst freilich, aber dann, berichtet die Welt.

Da war die Unterwelt, wie "schmutzige Götterspeise", die nach Exkrementen, Erbrochenem und Blut roch, ein dunkler, feuchter Ort, im Hintergrund rhythmisches Pochen fern, aber laut, wie Metall auf Metall. Der Erzähler steckte da drin, nicht als Person, sondern wie ein Wurm, oder ganz körperlos, einfach nur seiend.
Und dann kam von oben etwas, "nicht kalt oder tot oder dunkel, sondern das exakte Gegenteil davon". Rundum weißgoldenes Licht; die Finsternis zerfaserte und verschwand, eine Musik ertönte, lebendig, komplex, die wunderbarste, die er je hörte, und er fuhr an den Strahlen hinauf, in die fremdeste, beglückendste Welt, die er je sah. Blumen, lachende Menschen, Schmetterlinge und ein wunderschöner Engel an seiner Seite.

Er sei "inmitten von Wolken" gewesen, schreibt Alexander, und der Himmel, den er sah, kommt so lieblich daher wie sonst nur in den Vorstellungen von Kindern. Die Wolken waren "groß, plüschig, rosa-weiß und hoben sich deutlich ab vom tiefen dunkelblauen Himmel". Dort traf er Gott und kommunizierte mit ihm, in einer direkten, telepathischen Form, die ihn gar nicht überraschte, so der Autor.
Er nennt Gott "Om", denn "das war der Ton, den ich noch in Erinnerung habe und verbinde mit dem allwissenden, allmächtigen und bedingungslos liebenden Gott, aber alle Beschreibungen reichen nicht".
Ein Engel begleitet Alexander seit seinem Aufstieg aus dem stinkenden Urschlamm, ein wunderschönes junges Mädchen mit tiefblauen Augen, hohen Wangenknochen und einem beglückenden Lächeln: "Es war kein romantischer Blick, es war nicht der Blick wie bei einer Freundschaft. Es war ein Blick irgendwie oberhalb von all diesem."

Das Mädchen, stellt sich später heraus, war seine früh gestorbene Schwester, wie er erst an Photos feststellte, die man ihm erstmals vorlegte. Er hatte sie nämlich nie gekannt.

Das engelhafte Wesen ließ ihn wissen: "Du wird geliebt und geschätzt, herzlich, für immer. Du musst nichts fürchten. Du kannst nichts falsch machen.

Aber Alexander meint, daß es nicht nötig sei, die gesamte Wissenschaft nun über Bord zu werfen. Es gibt Koinzidenzen, beide Seiten nähern sich derselben Wahrheit. Und was er anführt, deckt sich erstaunlich mit auf guter alter Metaphysik, über Sein, Wesen, und Seiendes, aufbauender katholischer Weltsicht. So, wie auch seine Schilderungen wie eine Illustration theologischer und philosophischer Einsicht über die Strukturen der Schöpfung wirken. Alexander beschreibt sogar als Erlebnis den Akt der Schöpfung überhaupt, die uralte Sichtweise der Welt, in ihrer Entstehung als Zusammenfindungsprozeß aus Stoff und Form, aus Potenz und Akt - im Licht, dem Logos. Samt dem Wissen um den Moment der Sünde, der Ursache allen irdischen Leids, als Akt der Entfernung vom Sein, der Entfernung von Gott.*

Alexander führt Heisenberg an, der in der Quantenphysik die Theorie aufstellte, auf einer Ebene unterhalb der Atome sei alles mit allem verbunden, der Beobachtende mit dem Projekt der Beobachtung. Und der Mensch mit dem allgegenwärtigen Gott, so Alexander. "Denken Sie an jede Enttäuschung, die Sie jemals erlebten", schreibt Alexander. "Ich spüre, dass alle Verluste, die wir hier auf Erden erdulden müssen, in Wahrheiten Varianten eines sehr zentralen Verlustes sind; dem Verlust des Himmels."






*Selbstverständlich kleidet sich das Erfahrene in die Gewänder der Sichtweisen des historischen und konkreten Menschen, auch hier, das kann gar nicht anders sein. Das aber tut der Wahrheit keinen Abbruch, im Gegenteil: die Wahrheit IST ihrer Natur nach persönlicher Akt der Wahrwerdung des Rezipienten, ab ihrem ersten Schritt, der Offenheit für sie. Sie ist also keine Frage "objektivierbarer Rezeption", die dann allen offen stünde, abrufbar wie eine Internetseite: Denken ist immer ein personaler, intentionaler Akt der Geformtheit "gemäß dem Erkenntnisobjekt". Ihre Frage ist also die der Übereinstimmung (als Schilderungskraft) des Subjekts mit begegnenden Prozessen, die qualitativ von rationalem "Verstehen" unterschieden ist. Irrtum ist damit eine Hinderung an dieser Übereinstimmung, und immer persönlich motiviert bzw. als persönliche Motivation als Folge der Entfremdung vom wahrhaftigen Geschehen zu sehen. Zwar ist Wahrheit in sich logisch, ja Logik erwächst aus dieser Vernünftigkeit der Welt, aber es ist nicht umgekehrt: Logik IST nicht die Wahrheit, sie verweist nur auf sie.
Und hierin liegt das Kriterium der Wahrheit einer Religion. Eine andere Sichtweise SIEHT also nicht "Dasselbe" und deutet es nur anders. Sie nimmt geistig daran gar nicht teil, es bleibt ein ungelöster Konflikt zwischen objektiven Prozessen (die allem rein geistigen Erkennen vorausliegen, es damit immer - außer bei Gott, der Erkennen wie Akt IST - übersteigen) und dem menschlichen Selbst. Denn der Mensch ist in seiner Struktur von einer Geistseele geformt, seine Weise des Seiend-Sens ist seine Weise des Geistes. Wer den Himmel ablehnt, wird also auch nicht daran teilhaben, vereinfacht formuliert. Wenn Ähnlichkeiten der Sichtweise bei Menschen weltweit zu beobachten sind, so liegt das an der Grundverfaßtheit des Menschen, die natürlich alle teilen - als Abbilder, als Söhne Gottes. Ihm ähnlich, als Analogie seine Wirklichkeit und damit die Wirklichkeit der gesamten Schöpfung nachbildend (sie dadurch erkennen könnend), freilich aber nicht gleich "als" Gott. Eine andere Religion hat also auf eine Weise betrachtet zwar tatsächlich eine andere Art des Heils, die "man sich zufügt", die Frage ist aber, ob es überhaupt dem Wesen des Menschen gerechtwerdend und damit Heil IST. Hier berührt sich also Religion direkt mit Vernunft.

Nahtoderfahrungen sind deshalb ein weltweites Phänomen, im übrigen gar nicht selten, unabhängig von der Religion. Sie sind insofern ledidiglich ein "allgemeiner Hinweis" auf die Verfaßtheit des Menschen. Sie sind "an sich" aber kein Hinweis auf die Wahrheit einer Religion, noch sind die Erlebnisdeutungen Hinweis auf die Bedeutungslosigkeit der Frage, welcher Religion man angehört. Selbst das wäre ja bereits eine geistige Richtung, Entscheidung, und damit Form. Und ohne Entscheidung ist Wahrheit generell überhaupt nicht möglich. Es bleibt also in jedem Fall die Frage nach der Wahrheit einer Religion, und hier greift sehr wohl wieder die Bedeutung der Logik. Katholizität bedeutet also nicht, einfach EINER Interpretation zugehören zu wollen, sondern sie bedeutet die Entscheidung für die allumfassende Wahrheit - die Entscheidung zu einer Wahrheit, die keinen Irrtum enthält. Wie jede andere Religion.

Die deshalb immer Konfession ist; Katholizität ist aber Nicht-Konfessionalität, das Katholische kann deshalb nie eine "Bekenntnisreligion" sein, auf eine Weise nicht einmal eine Religion, zu der man sich bekennen könnte, höchstens indirekt, als einer Gemeinschaft von Menschen gleichen Glaubens zugehörig. Man kann sich nur zu einzelnen Wahrheiten und Inhalten bekennen - wie der Gottsohnschaft Jesu Christi. Und eine entsprechende Form des Kultes wählen, die dieser Wahrheit entspricht, ihr antwortet.


Oder, auf andere Weise gesagt: Jede Hermeneutik, jede Diskursivität als Quellgrund muß versagen, wenn diese Hermeneutik nicht selbst die Offenbarung und damit Gott (im Wort) IST. Denn (s. u. a. M. Eckhart) Gott läßt sich nur erfahren, wenn das Erfahrende selbst wieder ihm ähnelt, also muß der unendliche Gott jeder Bildhaftigkeit entbehrend die unendliche Offenheit selbst als Wirklichkeit im Lebenden sein. Jede Begrifflichkeit aber braucht die Bildhaftigkeit. Hermeneutik kann also nur vorbereitend wirken, aufschließend, aus der Welt heraus - ja, das muß sie. Die entscheidende Frage ist aber damit eine Frage des personalen Glaubens, und zwar des Glaubens AN WEN. Das Katholische ist in sich somit immer als diese Offenheit verstanden und zu verstehen, und zwar die einzige Offenheit (auch kraft ihrer Widerspruchsfreiheit), die zugleich die Personalstruktur des MICH - denn im sich erfahrenden Ich ist das Leben ein MICH, die vollkommenste Analogie Gottes in seinem Verhältnis zu Jesus Christus im Hl. Geist - behält. (Die Welterstehung selbst IST also der Modus der Selbstergreifung Gottes, Einheit mit Gott gibt es also nicht ohne Welt.) Person löst sich also nicht eine Art "Allgott" auf, sondern weltliches Selbst WIRD im Anschauen Christi, der Gott ist, in die Offenheit und Durchlässigkeit der Gottankünftigkeit hinein zum wahrhaftigen Selbst - in der Sohnschaft, in die der Mensch DURCH Jesus Christus als Mensch mit Leib und Seele hineingenommen ist, somit als Sohn Gottes offenbar wird, in dem die ganze Schöpfung erlöst ist.




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