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Montag, 12. November 2012

Europäische Perspektiven

Karl Markus Gauss über seine jahrzehntelangen Reisen zu europäischen Minderheiten im Schweizer Fernsehgespräch: "Ich kann es melancholisch beklagen, aber es gibt eine interessante Beobachtung: solange ein Minderheit verfolgt und abgegrenzt ist, so lange bleibt auch Ihre Eigenkultur lebendig und präsent. Der Zusammenhalt ind er Gruppe ist hoch, und niemandem fällt es ein, das Land zu verlassen.

In dem Moment aber, wo sozusagen 'bürgerliche Gleichberechtigung' herrscht, wo die EU-Gelder kommen, zerfällt mit der 'größeren Freiheit' dieses Gemeinwesen. Die Jungen haben ungeheure Ambitionen auszuwandern, erleben in den Diskotheken des nächsten Ortes die amerikanische Kultur, und das Eigene verdunstet.

Dabei ist auffällig, daß diese Minderheiten oft die größten Patrioten sind, was das Land betrifft, in das sie ausgwandert sind. Die Gottscheer sind sicher die patriotischesten Slowenen, Großdeutsches war ihnen immer fremd. Dabei sind sie so gut wie immer polyglott, sprechen sämtliche Sprachen der mit ihnen in Berührung stehenden Völker und Volksgruppen, und haben trotz ausgeprägten eigenen Brauchtumswesens gelernt, alle möglichen Fremdeinflüsse zu integrieren."

Interessant seine Ausführungen zu den Roma: "Bis vor Jahrhunderten waren die Roma in Europa eine zwar nicht sehr beliebte, aber völlig eingegliederte Volksgruppe, und sie hatten sogar eine bestimmte Funktion, wie die Nachrichtenübermittlung, eben durch ihre Reisetätigkeit. Und außerdem gibt es in allen Ländern vollkommen integrierte Roma, die gar nicht erst als Roma identifiziert werden, die es 'geschafft' haben, die sich wirtschaftlich und ind er Lebensweise integriert haben. Vielen Roma aber kann man nicht wirklich helfen, weil sie in die Ökonomie nicht integriert sind, und sich selbst nicht integrieren.  Die Ablehnung, die sie erfahren, geht stark vom Anblick der Armut aus, den sie in den Städten - als Bettler zum Beispiel - bieten, und damit können wir nicht mehr umgehen. Was früher deutlich anders war.

Drehen wir deshalb doch einmal die Sache um, spitzen wir es zu, und sagen wir: Es gibt gar kein Roma-Problem. Denn vergleichen Sie einmal: Ein Chirurg in Rumänien verdient im Monat 2-300 Euro. Ein Bettler in Hamburg, der täglich 18 Euro erbettelt, kann sogar noch seine Familie in Bukarest ernähren. 

Die Roma sind nicht willig und fähig, eine Nation zu werden, und nationale Ansprüche zu stellen. Sie haben keine Fahne, keine Regierung, kein Militär. Der Papst hat sie ja deshalb einmal als 'Kinder' bezeichnet. Aber in dieser Staatsverweigerung steckt ein avantgardistisches Potential - als Fernziel Europas."

"Es ist auffällig, daß es in Europa zu zahlreichen politischen Bewegungen kommt, die gegründet werden, oft rasch Erfolge feiern und in die Parlamente kommen, bei der nächsten Wahl aber wieder atomisiert werden und daraufhin von der Bildfläche verschwinden Es fehlt ihnen oft an ideologisch abgeklärten Inhalten, mit denen man sich identifizieren könnte, sodaß sie fester Bestandteil des politischen Spektrums sein könnten. Sie kommen und gehen wieder. Es müßten sich aber Interessensgruppen bilden, die mit Weltanschauungen zu tun haben, langfristig agieren, auch wenn sie einmal bei einer Wahl Niederlagen erleiden. Na, dann beim nächsten mal." Entscheidend sei eben die Kontinuität der Arbeit und die Stabilität des Gemeinwesens. Bedenklich sei es, wenn wie in Ungarn, so Gauss, der Wahlsieg der einen zur völligen Auswechselung der Führungsschichte führe, und zwar bis ins hinterste Provinztheater, wo regelrechter Haß zwischen den Anschauungsgruppen herrsche.




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