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Dienstag, 11. Dezember 2012

Gott mit hashtag (3)

Teil 3 - Gott ist nicht nur im Internet, er wird es. Durch den Papst.



Ein Papst auf Twitter - auch wenn man abwarten muß, was passiert - ist in jedem Fall beschämend. Die Wahrheit ist keine nützliche Information, die man abruft, wenn der Festtagsbraten zu mißlingen droht. Oder noch schlimmer: Die man durchklickt, mal sehen, was heute wieder an Interessantem durch den Tweedwald geistert. Sie muß lebendig sein. Und sie ist kein Blatt das man von der Rolle abreißt und dabei zufällig auf ein Heiliges Wort stößt. Ah, sieh da, John Fiedlmann hat einen neuen Weltrekord im Dauerhusten aufgestellt - der Babscht ruft zur Bekehrung und zum Gebet auf - der iPod kostet jetzt nur 59,90; jetzt in der Pontifikalausführung, in violettem Etui mit Goldborte, voll gottesdiensttauglich.

(Übrigens: angeblich tatsächlich bereits häufiger, als man denkt. Der Verfasser dieser Zeilen ist selbst sogar schon mehrmals Opfer solcher Ergüsse geworden, wo mitten aus dem Gottesdienst ein herzhaftes "Christus lebt, er ist wahrlich auferstanden, halleluja! Frohe Ostern wünscht Deine Sonja" am Display auftaucht, lebensecht fliegenden Fingers von dieser während ihres Kommuniongangs abgesetzt. Seltsam, es hat ihn eher nicht erbaut, sondern tief verärgert, weil er gerade nach einem Bratenrezept suchte. Daran hätte auch ein Absender "Dein Papst" nichts geändert. Denn der Verfasser dieser Zeilen wartet eher nicht auf 140-Zeichen-Nachrichten, die sein Weltbild umstützen könnten, á la "Jetzt bewiesen - Der #Mensch stammt vom #Zottelbären ab, sofort unter #evolution lesen!" Und auch nicht auf eine dieser Art: "In zehn Minuten #Weltende - noch rasch #beten - #Benedict XVI" Oder wird er gar bald auch Bratenrezepte anbieten? "Gerade #Weihnachtsgans verschmaust, hervorragend. Sauce wird ganz fein, wenn man ihr einen Schuß #Cointreau zufügt! #Papst" Die obligate Werbeeinschaltung, deren Kaufpreis enorm sein wird, die Twitter-Aktionäre reiben sich schon die Hände, schenken wir uns. Man stelle sich vor, wenn auch noch der amerikanische Präsident - Follower der ersten Stunde - antwortet: "merry christmas! #american_turkey is also fine ;-) #obama" - die Tarife werden in schwindelige Höhen steigen, in jedem Fall. Auch, wenn er vielleicht ja ernsthafter twittert: "Dear pope, you say nice people come to heaven. is it really your opinion that #homosexuals will come to #hell? they are nice! #obama")

Nicht weniger beschämend, wie diese vergammelten Schulbibeln, die zu retten der Verfasser dieser Zeilen sich jedesmal aufgerufen fühlt, wenn er solcher ansichtig wird, wozu ihm aber die Mittel fehlen, denn es sind zu viele Bibeln, die weggeworfen und verachtet werden. Macht nix, ist ja nur Papier?

Das erinnert viel mehr an das "Heil Hitler!" so mancher Bischöfe und Kardinäle, das sie dann bitter bereut haben, als sie bemerkt haben, daß man den Teufel nicht mit Beelzebub austreiben kann, nur weil es nützlich sein könnte.

Was wir sehen
Aber warum das alles? Das wagt der Verfasser dieser Zeilen zu sagen: Weil eine längst wahnsinnig gewordene Subkultur von Zombies genau darin die Bestätigung ihrer abstoßenden Kreuzesscheu und Acedia sieht, sich weiter - in bösartiger Schizoidität - vormachen kann, auch in ihrem Lotterbett der Wirklichkeitsflucht, in dem sie sich wälzt, "richtig zu liegen". Die meinen, in einer glattgeschmusten Welt der Nettigkeiten mit "likes", 50.000 "friends", und nun auch noch als "Papst-Follower" Charon den Preis bezahlt zu haben, mit dem er sie dereinst überschiffe.

Internet und social media sind Lotterbetten des Lasters. Und zwar nicht durch "Pornographie" oder was immer es sonst zeigt. Das wäre eine fatale Täuschung. Seine Wirkweisen sind viel tiefgründiger und umfassender, und ihr positiver Nutzen grenzwertig klein. Doch sind sie gefährliche Phantome, fern von jeder Verschwörungstheorie, sehr real, ihre Schatten sind sichtbar wenn man sich anstrengt: sie umgeben das Herz mit einem Vorhang der Finsternis und gespenstischen Stille, sodaß das Leben, Gott der das Leben ist, nicht mehr gehört, er im Du nicht mehr gesehen, sein Wille, der immer ein Wille im Kairos, im Realen ist, nicht mehr gehört wird. Verschüttet unter den Gebirgen der Sprache der Welt.

Teil einer kulturgeschichtlichen Gesamtbewegung der Entwirklichung unserer Lebenswelt, die sich uns damit mehr und mehr entzieht: Unser Leben wird zu einem Versuch, eine unwichtige Schwanzspitze zu bändigen, während die Eidechse längst über alle Berge ist, und das Antlitz der Erde verwüstet. Wenn wir dann entdecken, daß die Schwanzspitze tot ist, ist es zu spät. Im Internet als effektvolle Scheinwelt vollzieht sich, vor unseren Augen, diese Entwirklichung. Die in heutiger Form nicht eine Frage von "na seien wir eben etwas vorsichtig" ist, sondern prinzipieller Natur.

Aber möglicherweise findet ohnehin jemand bald den Stecker, mit dem man das Netz an die göttliche Energie anbinden kann, sodaß es die reine Wahrheit ausspuckt und wir künftig - also NACH der Einführung von Quantencomputern auf jeden Fall - alles vom Ursprung her wissen, aus Algorhythmen zusammengeflickt, die evolutiv-dialektisch einmal die reine Wahrheit auf Knopfdruck ergeben. Sie lachen? Weinen Sie lieber. Es gibt eine menge Leute, die das allen Ernstes glauben. Sodaß ihnen der Beitritt von Benedict XVI. zu Twitter die logische Anerkennung dieser Wahrheit ist: Es ist die tragende Idee des Internet und der social media, die diese Idee nur abbilden. Diese Leute hat also der Papst auf jeden Fall schon im Glauben gestärkt. 

Unter Hashtag gott oder so ähnlich sind dann auch Sie, geneigter Leser, dabei, wenn es soweit ist und ER zu uns spricht, ehe er aus angeschlossenem Laserlicht loslegt die Welt nach eingespeicherten Bauplänen - bibeltreu nach seinem Geist, dem Programm, das sich in grenzenloser Kompilation von Information selbst programmiert - neu zu schaffen. Wo nunmehr geniale Information sich mit der dreieckig-kristallinen Gestalt des Urstoffs vermählt. Dann wissen wir auch, wozu der Sozialstaat eigentlich gut war: Er sollte allen ermöglichen, ihr Handy zu betreiben, um in den Himmel zu kommen. (Sie sollten weniger lachen, werter Leser, sie sollten weniger lachen, das ist so gar nicht angebracht, wenn die Rede von den Fundamenten des Zeitgeists ist.)

Noch eine Wette, ganz zum Schluß: Es wird nicht an Nachrichten fehlen, wo jemand per Tweed verkündet, der habe sich durch päpstlichen Tweed bekehrt. Der Glückliche. Der Verfasser dieser Zeilen sieht sich immer noch nicht bekehrt. Vielleicht sollte er auch twittern.




Nachtrag: Damit keine Zweifel aufkommen: der Verfasser dieser Zeilen sieht sich mit dem Papst in Christo  tief verbunden. Wenn auch nicht als "Groupie", das sich von gewissen Dynamiken wegschwemmen läßt und seine gerade als jemand der Christus angehören möchte unverzichtbare Eigenverantwortung aufgibt. Gerade heute, umgeben von enormen (vor allem psychologischen) Wirkmechanismen, ist höchste Vorsicht angebracht, das Erleben und Wahrnehmen nicht durch Außenwirkungen sich selbst entfremden zu lassen. Denn Gott, das Wort, das Leben, ist als sich selbst Zeugender dem Hörenden nur im Maß der Lauterkeit der Affekte präsent, ja im lauteren Affekt - Florenski nennt an dieser Stelle den Geist - als (menschlichem Verstand letztlich nie vorhersehbares) gottgetragenes Handeln nach seinem Willen wird. Er als Wirkender, und damit der Mensch zum Individuum aus dem Geist in der Hingabe geboren. 

Insofern ist ja das Leben immer wahr, weil es immer aus Gott kommt, und jedes Wollen und Vollbringen das Gottes ist, nie des Menschen, so sehr er das heute glaubt. Die Frage ist nur, WAS aus den Gestalten der Zeit spricht, wo (könnte man sagen) das Leben und das eigentliche Ziel eines Handelns IST, als Logos, als Sinn. Nachdenken ist damit ein Ausschmelzen faktischer Gestalten zu reinen Gestalten, welch erstere an sich also sehr wohl "falsch", irrtümlich sein können, sodaß sich dann auch etwas anderes in ihnen zeigt, als weltliches Sprechen vorgibt.

Man möge dem Verfasser also manch sarkastischen Ton in obigen Ausführungen nicht fehldeuten, den er nämlich nicht ändern wollte, den er als sehr angebracht sieht. Sarkasmus oder Ironie sind ein Auf-die-Spitze-Treiben, und insofern kathartisch, als irgendwann die Enden der Tangenten, die man an Bewegungen legt, im Nichts landen, und sich damit offenbaren. Auch, wenn er vom Geist und der persönlichen Klugheit gerade dieses Papstes, dessen Äußerungen er stets mit großer Sorgfalt liest und hochschätzt, überzeugt ist. Weshalb er sogar mit gewisser Spannung beobachten wird, sofern das auch ohne Twitter-Account möglich ist, wie die Angelegenheit sich entwickelt. Denn sie wird aus neuem Blickwinkel auch über das Netz einiges aussagen. Das nun auch in dieser Weise zu nutzen, davon ist der Verfasser dieser Zeilen überzeugt, aber wohl eher der Modernitätsbegeisterung so mancher Mitarbeiter zu verdanken ist. Aber mit großen Bedenken, weil er diesen Schritt in einer Reihe mit so vielen sieht, die die Kirche in den letzten Jahrzehnten zu einer unsäglichen Profanierung und Verdunkelung des Heiligen trieb. Und vor allem auch zur Enträumlichung, Entkonkretisierung, damit Entgeschichtlichung, wo das Internet nur noch als Weiterentwicklung z. B. von Bewegungen wie Medjugorje deutlich wird.

Die Kirche ist leider schon geraume Zeit dafür bekannt, daß es in ihr Kräfte gibt, die nie schnell genug beweisen zu können meinen, wie zeitgemäß und weltoffen sie sei. Die dabei gar nicht merken, daß sie weit zurück sind. Kirchliche Innovationen in dieser Richtung tragen deshalb fast immer ein Merkmal: sie kommen zu spät, damit zu einem Zeitpunkt, wo in der (verglichen mit Kirchenbeamten) realitätsbestimmteren Gesellschaft bereits der Kater eingesetzt hat. Das Internet in dieser heutigen Form, davon ist der Verfasser dieser Zeilen (der doch einige Interneterfahrung hat) überzeugt, hat ein gar nicht fernes Ablaufdatum, wenn auch  nicht sein muß, daß sich der tief schwelende Konflikt direkt als Ablehnung des Internet erkennbar sein muß, er könnte auch ganz andere Formen annehmen. Doch der Mensch ist eben nicht beliebig form- und veränderbar. Immerhin lebt er aus der Selbsterprobung Gottes, sein Bewegungsspielraum ist begrenzt. Entfernt er sich von seinem Wesen, meldet sich der Schmerz, der historisch bedingte Gestalt der Gegenwehr annimmt

Eine Analyse des Internet - als Werkzeug, als Maschine, die wie jedes Werkzeug auch den Anwender verändert - kann nur von diesem Wesen des Menschen ausgehen und stichhaltig sein. Ja es muß auch einem kulturellen Untergrund entsprechen - aus dem es hervorgeht, woraus es in seinen Gestalten verändernd rückwirkt. Aber diese Veränderungen haben eine Grenze - eben dort, wo der Mensch sich widerspricht. Dort wird Zeitgestalt und Zeitgeist gar zur Todesspirale. Unter diesem Gesichtspunkt hat die Selbstentfremdung durch das Internet nicht nur nach Meinung des Verfassers dieser Zeilen eine Phase des Weltverlusts erreicht, wo Gegenbewegungen zu erwarten sind. Und diese zeichnen sich auch bereits ab - wenn auch noch untergründig, denn der Zug der Zeit nimmt gerade dann noch mehr Fahrt auf, wenn er seine Begrenztheit immer mehr ahnt, sodaß er immer aggressiver ums Überleben kämpft. An dieser Stelle war und wird vielfach davon die Rede.




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