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Donnerstag, 13. Dezember 2012

Verlängerungen des 1. Akts

Nun kann man also von Wien nach St. Pölten in 25 Minuten per Bahn rasen. Dafür wurden fast 3 Mrd. Euro investiert, halb Wien untertunnelt, und riesige Schneisen neuer Hochleistungsstrecken durch das Tullnerfeld gelegt, um 20 Minuten zu "sparen". In Tullnerfeld wurde ein völlig neuer Hochleistungsbahnhof errichtet, der die zukünftigen Veränderungen nicht nur auffangen, sondern beschleunigen soll. Drainagen der Regionen, um das Blut der Dinge aufzufangen.

Eine Studie belegt, daß sich im letzten Jahrhundert die durchschnittliche tägliche Reisezeit pro Einwohner von 70 Minuten um keine Minute verkürzt hat. Ob mit Kutsche, zu Fuß, mit dem Rail-Jet oder mit dem Porsche. Die Gesamtreisedauer, die ein Mensch in Europa (notwendig) pro Tag unterwegs ist, hat sich nicht um eine Minute verkürzt. Trotz ständiger Steigerung der Geschwindigkeiten, im Auto, auf der Bahn. Aber die zurückgelegten Strecken haben sich multipliziert.

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Überhol- und Regionalbahnhof Tullnerfeld
Hochleistungsstrecken verstärken sogartig den Zentralismus, weil nur Zeit entscheidender Faktor bleibt. Die angeschlossenen Regionen werden zu Zubringerregionen, die sich immer weiter ausdehnen. Man fährt nicht kürzer, man MUSZ aber weitere Strecken zurücklegen, um zur Arbeit zu gelangen. Die Regionen selbst werden immer weiter ausgetrocknet, zu reinen Wohnstätten. Die Landschaft dazwischen verschwindet, durch Tunnels, durch Lärmschutzkanäle, durch Begrünungsgürtel, die die Monsterbauwerke des Verkehrs angeblich "landschaftsgerecht integrieren". Landschaften, die sinnlos, zu bloßen möglichst rasch zu überwindenden Hindernissen und Zeitstrecken werden, jeder weiteren Aussage beraubt, das Land in ortslose Funktionsschaltstellen verwandeln.

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Traumgespenst Politik
Private Einkommen werden noch weiter verstaatlicht, enteignet (das sind nämlich Steuern), um zu allgemeinen, anlaßneutralen Kosten gewordenen Verkehrswege zu betreiben. Zu den Gesamtkosten kommen noch die Milliarden, die für die künstliche Beatmung des sich immer weiter ausbreitenden Niemandslandes benötigt werden, das sonst zur Wüste würde.

Unterbrochen von mit Fernsehen und Internet und social media an die virtuelle Welt angeschlossene Schlafcontainerwelten, in die die Großstadtbenützer sich abends zurückziehen. Landschaften, die als Lebensmittelfarmen oder Windenergieparks mißbraucht werden können, weil sie niemand mehr wahrnimmt, sie jeden Sinn verloren haben, die als solche bestenfalls Wert für die Geldproduktion im Tourismus haben, der nach ästhetisierten Behübschungskriterien den Tod der Schönheit unbemerkt bleiben läßt, gemessen wie Komapatienten in der Intensivstation, nach physikalischen Kriterien wie "Luftgüte" und "Wasserqualität", und dabei in dem Maß eigenschaftslos werden, in dem die Politik die Förderung regionaler Identität in regelmäßigen Wortblasen ausstößt.

Und wie sehr diese Entwicklungen politisch gewollt und gesteuert sind, und keineswegs Reaktionen auf Bedürfnisse, zeigt in diesem Fall sogar der Umstand, daß diese neue Strecke im Tullnerfeld lt. Standard-Berichten mit Steuergeldern deutlich höher gefördert wird wie üblich. Und zwar mit 40 Euro pro Zugkilometer. Zum Vergleich: Die Flughafenverbindung der Verkehrsverbundgruppe wird mit 8 Euro gefördert. Damit soll gewährleistet sein, daß das Zugangebot nicht einfach nach Nachfrage (und damit Wirtschaftlichkeit) eingerichtet wird, sondern die Nachfrage sich nach dem Angebot - möglichst viele Züge, ohne nach Wirtschaftlichkeit zu fragen - erhöhen soll. Diese Blindheit für wirkliche Kosten könnte übrigens auch mit einer eigenartigen Siemens-Lastigkeit der Förderbedingungen durchschlagen, lesen Sie dazu den Standard, es sei hier nur am Rande erwähnt.

Aber die Eigenschaften der Dinge der Welt drücken sich durch den Abstand aus, in dem das Verhältnis der Teile zueinander sich darstellt, zu dem werden, was wir als Eigenschaften feststellen. Und an dem wir überhaupt erst leben, weil Leben Selbstaffizierung am Begegnenden bedeutet. In neutralen Welten löst sich das Selbst des Menschen auf, löst sich vom eigentlichen Erlebensgrund, verdampft hinein in die alles umhüllende Wortblase des zur Dämonie gewordenen Dauergeschwätzes, das  notwendig ist, um irgendwie in der Welt zu bleiben.

Wie in Trance verändern wir weiter unsere Welt, in unverändertem Tempo. Schlafende, deren leere Worthülsen den substanzlosen Tageslärm ausmachen, in einer Tragödie der Entwirklichung, der wir vorbehaltlos folgen.

Die allesamt den ersten Akt beschwert, nur den füllen wir täglich mit noch mehr später durchbrechender Wucht. Zum mächtigen Drama, in dem sich die Substanz des Lebens aufbäumen wird, die uns in jedem Fall überraschen wird.




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