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Freitag, 18. Januar 2013

Das Unwahre verwirrt

Jede kritische Situation entsteht, weil sich die Dinge aufeinander zu bewegen, und damit einen kathartischen Effekt bewirken, der das Wirkliche zum Vorschein bringt. Dieser Punkt hat seinen Kairos: jenen Zeitpunkt, an dem eine Situation reif zu einer Weichenstellung wird, wo sich eine Entscheidung aufdrängt, die eine Entscheidung für das Richtige notwendig macht.

Wird diese Entscheidung nicht getroffen - aus Feigheit, aus Angst, aus Unentschlossenheit und Mangel an Mut, aus Blindheit, alle Faktoren hängen dabei eng zusammen - so passiert etwas Seltsames.

Die Dinge werden verworren. Altes, Abgelegtes, erhält die sprichwörtliche zweite Luft, das Wesentliche, Wirkliche, für das es sich zu entscheiden gegolten hätte, bleibt wie in einer Wartesituation gefangen, reckt nach wie vor seine Arme entgegen, auf daß es ergriffen werde, aber man nimmt es nicht auf. Es meldet sich zwar immer wieder, meldet sich als eigentliche Bestimmung einer Lage, aber es wird allmählich erdrückt.

Und nun tritt etwas anderes ein. Um die Verwirrung zu beseitigen, die das Bleiben des ungeordneten Faktischen bewirkt, entscheidet sich der Mensch für das, was dieses Faktische auf eine Scheinbasis stellt. Man legt einfach eine neue Bezugslinie fest, weil man das Grundsätzliche nicht entschieden hat. Und das Falsche gewinnt neue Kraft, desavouiert das Wirkliche, bis dieses aus dem Blick verloren wird.

Wer sich für dieses Prinzipielle entschieden hat, bleibt somit in einer mehr und mehr der öffentlichen Wahrnehmung verdunkelten Warteposition. Es wird ihm freilich schwer, an diesem Prinzipiellen festzuhalten, nicht selber irre zu werden. An dieser neuen Verfestigung des Falschen, dem er sich gegenüber sieht. Die Diskussionen treten auf der Stelle, immer wieder neu gestellt, nie beantwortete Fragen, Fragen deren Antworten man verdrängt, ignoriert hat, tauchen immer wieder und wieder auf, als wären sie KEINE Scheinfragen. Bis sich auch der letzte Bürger satt hat, sie zu ignorieren beginnt. Noch nie gekanntes Desinteresse an Politik, wird es dann irgendjemand irgendwann nennen.

Damit hat die Politik endgültig wieder freie Bahn. Die die Beantwortung dieser Fragen verweigert hat, die konsequent an diesen Fragen vorbei geantwortet hat, scheingeantwortet hat, getrieben von der Maxime alles zu tun, um die eigene Existenz fortzuschreiben. So fällt ihr die offizielle Macht einerseits noch mehr in den Schoß, so wird aber diese Macht immer substanzloser, braucht immer mehr Gewaltrahmen, weil ihr Rand immer schneller erreicht wird. Und immer schwieriger wird es, aus dem Wust an Nachrichten, Informationen, Wortgefechten im Äther, herauszufinden, was davon überhaupt noch relevant ist, was davon noch wenigstens Spuren des Eigentlichen trägt, nicht das Herumschlagen Ertrinkender ist, die meinen, sich mit ihrem Fuchteln über Wasser halten zu können.

So geht es uns heute. Aus den Erschütterungen der letzten jahre formiert sich nun mehr und mehr diese Logik des Faktischen, in der der ungeklärte Zustand der Vorzeit mit neuer Kraft festgeschrieben wird. Nein, mehr noch, das Prinzipielle, das Richtige, das zu tun gewesen wäre, aber verweigert wurde, wird nun zum Feind, zur Bedrohung.

Nichts hat sich geändert, aber die Kräfte, die diese Verwirrtheiten der Vorkrisenzeit ungekannt zur Krise getrieben haben, weil sie eigentlich zerbrachen, werden neu formiert, neu aufgestellt. Griechenland und Eurokrise, Verschuldung und Klimawahn, Energiewende und Demokratismus erleben neue Hochzeiten. Die Fragen blieben zwar die Gleichen, aber ihre grundsätzhlichen Aporien wurden einfach verdrängt, sie blieben ungelöst. Und nun formiert sich auf neuer Stufe jener Weg in den Untergang neu, der sich mit der Krise bereits gemeldet hätte. Aber mit neuem Ernst werden die Widersprechenden ausgeschaltet. Denn nichts ist aggressiver, als Schein, der sich ständig als gefährdet erfährt, sich in Nichts aufzulösen. 

Die Krise, die uns auf so viele Grundprobleme unserer Lebensart neu hingewiesen hätte, wurde nicht genutzt. Stattdessen wurde sie auf allen Ebenen zu einer neuen Definition der neuen gesellschaftspolitischen Diskussionskerne. Wer ihnen nun nicht beitritt, erfährt sich in einer neuen Verschärfung als ausgeschlossen. Schon aus dieser Kraft, aus dieser Angst, gewinnt diese neue Dynamik des Faktischen, die nur Oberflächen verklittert, um möglichst nichts aufgeben zu müssen, die auf neue Weise Mut zum Unbekannten gefordert hätte, in der Selbstüberschreitung in die Wirklichkeit hinein, enorme Anziehungskraft.
Neu gefestigt als Zeit der Systems, die sich ihre eigene Rechtfertigung liefern, sich aus sich  heraus zur Wahrheit erklären. Das seine Meriten verteilt, seine Hierarchien festigt, damit gottgleich wird, denn nur Gott kann sich aus sich selbst rechtfertigen, nur er ist sich selbst Zeuge.

Aber sie wird noch mehr verwirren, und den Irrationalismus auf eine nächste Stufe treiben. Denn die Angst, auf der diese Faktizität aufruht, wird weiter angeheizt. Und befeuert damit die Aggressivität, mit der unser System, das sich über uns gestülpt hat, sein faktisches Überleben sichern will. Und damit noch mehr Opfer fordert. Aber nicht die Opfer der Liebe, sondern die Opfer des Weltverlusts. Nur wenige, noch weniger, die in dieser Lage noch den Blick auf das Eigentliche gerichtet halten, es nicht aus den Augen verlieren, nicht irre werden, nicht dieses Kreuz auf sich nehmen, und in Geduld verharren. Festhalten am Anker der Wahrheit, nicht der Verführung anheimfallen, scheinbar doch mitspielen zu können im Gerausche scheinbaren Tuns. Nur wenige, die diese Tugend aufbringen. Die nicht ihren Drang, doch auch relevant handeln zu können, in Zeiten wo es noch weniger als bisher zu handeln gibt, weil die Wirkmöglichkeit noch eingeschränkter wurde, in Scheinaktivität ummünzen, um ihre Gewissensunruhe zu besänftigen.
Sodaß sich das Bild des Niedergangs noch deutlicher abhebt.

Das ist die Zeit der Morgendämmerung der Supermänner. Die das Ganze noch weniger im Blick haben, die auf einem Wust ungeklärter prinzipieller Fragen sitzen, neuen Black-Boxes, die Teilwahrheiten aber mit neuer Energie benutzen, um das Irrationale ihrer eigenen Antriebe zu verbergen. Die dieses Ahnen aufgreifen, daß es um Prinzipien gegangen wärde. Deren Kairos aber nicht genutzt wurde. Was aber einmal versäumt wurde, läßt sich gleich nie wieder aufgreifen. Denn jeder Tag hat neue Sorge, jede Minute im Fortschreiten bringt eine neue Lage. Die Zeit der großen Entscheidungen wurde versäumt.

Laßt Euch nicht verwirren!






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