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Sonntag, 20. Januar 2013

Das Vermittelnde trennt

Die Geschichte unserer Zivilisation, schreibt Enrico Castelli in "Die versiegte Zeit" schon 1951, scheint auf einem Mißverständnis zu beruhen. Das Instrument unserer Zivilisation wurde so zum Dämon unserer Gesellschaft, in der alles auf ein soziales Gleichgewicht hinzuarbeiten scheint, in Wirklichkeit jedoch alles auseinandertreibt und die Trennung immer unüberbrückbarer wird.

So sind wir umgeben von einem nicht mehr zerstörbaren Gebäude der Technik, die uns das Wesentliche des Miteinander raubt - die Disponibilität, auf der Basis unseres Eigenlebens. Anstatt vom Eigenleben, dem Gefühl der Schicklichkeit in einer Situation, auszugehen, werden soziale Vorgänge in Funktionen zerlegt. Es bleibt gar keine Zeit, um zu entscheiden, was angebracht wäre - die Vorgänge sind automatisiert.

Deshalb muß man, um diese Disponibilität wieder zu erlangen, alles abschaffen, was ursprünglich diese Kommunikation erleichtern sollte - aber uns das Eigenerleben geraubt hat. Denn das Wesentliche des menschlichen Handelns, in seiner Offenheit für Transzendenz, ist, die Handlung dem Profanen zu entreißen. Das geschieht in der sozialen Beziehung, die nicht auf Technik abwälzbar ist. Denn darin wird sie objektiviert, aber damit entpersönlicht. Und diese Mechanik wird zum Inhalt unserer Erkenntnisse über den anderen.

Dem liegt ein Lebensbegriff zugrunde, der so tut, als wäre das Leben etwas, das ein objektiver Vorgang wäre, der vom Menschen selbst unabhängig ist. Leben und Tod, Freundschaft und Feindschaft, werden zu abstrakten Ideen, zu etwas Materiellem. Schicklichkeit wandelt sich zu sozialem Interesse und privaten Vereinbarungen, wird verrechtet, zu einer Frage objektiven Rechts und Unrechts, das einer Maschine des "Guten" gleicht und das Recht vom verantworteten Rechtshandeln zum unpersönlichen, anonymen Anspruch macht - eine Form des Verrats am anderen.

Verlegen wir die Kommunikation auf technische Medien, gewinnt dieses Vermittelnde jene Bedeutung, die die Begegnung mit dem anderen an sich hatte. Das ist eine unauweichliche Konsequenz: Unser Interesse konzentriert sich auf das Funktionieren und Eigengeschehen des Mediums, IN dem uns der andere begegnet - eins wird zum anderen. Was uns verbinden sollte, trennt uns in Wahrheit vom anderen, macht Kommunikation anonym.

Das was anonym ist ist zwar Äußerlich, aber das Äußerliche ist immer auch das Exorbitante. Genau das, was durch die tägliche Gewissenserforschung täglich neu zu bekämpfen ist: in der Überprüfung genau dieser Ausschreitungen.

Es gibt kein Gutes ohne vorausgehende, erkennende, persönliche Begegnung. Man kann nur "etwas" (am anderen) wollen. Zur Idee vom Guten objektiviert, fällt der Mensch in den Subjektivismus, die ihn erst recht von sich entfremdet.

Gleichzeitig, in dieser Selbstentfernung von uns, wehren wir uns gegen die Beschlagnahme durch das Begegnende, die persönliche Ebene des Erfahrens, das fundamental Erschütternde - das Disponibilität benötigt, nicht starres Festhalten an einer Idee. So wird das Ferne, das Abstrakte, Anonyme geliebt*, während das Nahe, persönlich Bekannte, Fordernde, uns feindlich scheint, uns bedroht. Aus dem daraus folgenden Mangel an Selbstliebe (weil -erkenntnis) und -stärke, Treue, folgt die Angst vor dem Unmittelbaren, und daraus steigt die Flucht in das Ferne - das Medium. Als Ort des Verrats an dem, was uns mit dem anderen verbindet.

Mit dem Subjektivismus entstanden - historisch in engstem Zusammenhang mit dem Buchdruck, übrigens - die das soziale Leben abstrahierenden Sozialideen: allen voran die modernen Staatsgebilde. Wurde das Denken selbst zum "objektivierten Vorgang", das ohne die persönliche Situation des Denkenden möglich sein sollte. War zuvor selbst Wissenschaft eine Gabe, der Inspiration zu verdanken, wurde sie zu einem objektiven Vorgang abstrahiert. Das Exorbitante trat seinen Siegeszug an, den Menschen zu unterwerfen.

Damit wurde sogar die Gewissenserforschung verändert: sie wurde zu einem Vorbeiziehen von Handlungen, die dem inneren Erfahren fremd sind, denen dieses fehlte. Auch und gerade in Gesprächen und Begegnungen, der Kommunikation: Sprache ist uns zu einem Instrument des Zwecks, zu einem mechanischen Werkzeug geworden, das ein Ziel erreichen soll. Nicht mehr wir sind die Sprechenden, denen die Sprache angehört, aus denen sie hervorquillt - wir benützen die Sprache als (objektives) Werkzeug.

Wir begreifen wenig, schreibt Castelli, wenn wir nicht begreifen, daß wir in einer verhängnisvollen Welt leben.



*Folgerichtig erwachsen aus dieser Objektivierung des Sozialen auch die Gerechtigkeitsideen und -ideologien. Das soziale Gefüge wird zur Masse (am deutlichsten in den Parteien erkennbar), ihre Gerechtigkeit wird abstrakt - und damit ABSOLUT, unerbittlich und damit fanatisch zu verfolgen, mit abstrakten Feinden und Freunden. Die Ungenauigkeiten und Ambivalenzen des Lebens selbst verschwinden, die das persönliche Leben doch so kennzeichnen, geopfert der Idee. Alles erstarrt, wie in Dante's Inferno, im Eis des Unvermögens, auf persönlichen Anruf zu antworten und sich mit einem anderen direkt zu messen. Die Krise des Menschlichen wird zur Katastrophe.

 


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