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Dienstag, 15. Januar 2013

Schönheit ist Dauer

Wesentlich zum Erfahren des Guten, Schönen, Wahren, gehört die Erfahrung der Dauerhaftigkeit, schreibt Enrico Castelli in "Die versiegte Zeit". Wenn wir einen Ausstellungspavillon sehen, der in sechs Monaten wieder abgerissen wird, so ist unser Erleben als "schön" nur auf ein Original bezogen, auf das sich diese Vorläufigkeit bezieht. Die Schönheit selbst als Erlebensqualität läßt sich aber nicht vermitteln, sie bleibt reflektierte Schönheit. 

Entsprechend ist eine Architektur zu bewerten, die in ihren Materialien, ihrer Gestalt, nicht die Absicht auf Dauer ausdrückt. Sie bleibt Funktion, kann gar nicht schön werden, und damit unser Erleben zum Guten heben. Denn das Schöne ist immer Heraustreten aus der Zeit IN der Gestalt der Zeit - und damit "ewig" in der Präsenz der Ewigkeit an ihrem angestammten Ort, der Geschichtlichkeit. Aber sie darf nicht in ihrer Zeit hängen bleiben. Sie muß von allen Epochen verstanden werden können. Deshalb ist Schönheit mit Dauer verknüpft.

Schönheit existiert nur in Zusammenhang mit einem Original - einem tode ti, einem "das hier und jetzt sein", das ohne realen, persönlichen Bezug gar nicht ist, und schön IST. Eine abstrakte Schönheit gibt es nicht als Darzustellendes.

Ein Fernsehbild einer Live-Übertragung selbst des Allerschönsten kann deshalb gar nie für sich schön SEIN. Es ist und bleibt ein flimmerndes, flüchtiges Bildschirmbild, das rational auf ein reales Geschehen verweist, an dem wir aber NICHT mit unseren Sinnen teilhaben. Es vermittelt nur einen reflektierten (informellen) Zugang zur Schönheit, nicht die existentielle Wirkung der Schönheit bzw. des Geschehens selbst, bleibt existentiell ein bloßes Geschehen zwischen Betrachter und Bildschirm. DAS ist die Zeitlichkeit, in der sich das Leben selbst zeigt und erfährt, die immer Augenblicklichkeit ist*.

Der Verlust der Schönheit heute ist umso schwerer vorzustellen, als sich die Begrifflichkeiten kaum geändert haben. Aber (kaum bemerkt) geändert hat sich das Erleben, das Gefühl. Dies zu erkennen wird durch die scheinbar gleiche Begrifflichkeit erschwert. Über Begrifflichkeit wachgerufen, sind die Gefühle völlig anders als in der realen Begegnung. Sie sind Erinnerungen an Vergangenes, bereits Erlebtes. Verlegt sich unser alltägliches Leben in diese Pseudologie der Begriffe, kann nur Tod und Zukunftslosigkeit folgen.**





*Das Entscheidende an der Heilstat Gottes in Jesus Christus ist ja genau das: die Augenblicklichkeit, damit der Eintritt Gottes in diese Zeit, die er damit schafft, weil sie sich in der Heiligen Handlung der Sakramente real, hier, jetzt, an diesem Ort, in dieser Zeit ereignet. Ohne diese historische Konkretisierung wäre die Erlösung nur eine Idee geblieben.

**Wenn jemand nach den Ursachen für den eklatanten Rückgang der Gottesdienstbesuche sucht, so hat er hier die Begründung - im Verlagern des Geschehens von "Handlung hier und jetzt" zur Reflexion. Sich hier auf "Gültigkeit" aufgrund des letzten Restes zu berufen - der Wandlungsworte etc. wegen, die ja nur deshalb gültig sind, weil und soweit sie die Gestalt bewahrt haben, weil sie hier und jetzt Gestalt werden -  ist regelrechte Verhöhnung der Teilnehmenden und bösartiger Zynismus. In Wahrheit erfährt der Gottesdienstbesucher gar nichts mehr, was er sich nicht selbst in der Erinnerung wachruft. Damit aber hat sich sein Zugang zum Heilsgeschehen dramatisch verändert, und davon ausgehend seine Weltsicht.

Der Verfasser dieser Zeilen kommt immer mehr zum Schluß, daß das Schwinden der Kirchenbesucher kein "bedauerliches Zeitproblem des Glaubensabfalls" ist, sondern Gott entzieht - auf Zeit - der Kirche die Menschen, damit sie offen bleiben für ihn, so schwierig das Dilemma im Einzelfall auch sein mag. Aber diese Pseudologie macht den Menschen unfähig zur Wirklichkeit. Vor der Tür der Kirche stehen viele viele Menschen. Aber sie werden einfach nicht gesehen. Man sucht am Seiteneingang und in der Sakristei. Dabei stehen sie vor dem Haupttor




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