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Dienstag, 22. Januar 2013

Vom Vater her gedacht

Die Nähe zum König ist die wahre Grundlage allen Strebens nach Ansehen innerhalb einer Gesellschaft, und wiederum nur in dessen Nähe zu Gott zu sehen. Alles Suchen nach Ruhm und Ehre definiert sich von dieser Wurzel her.*

Im alten Ägypten finden sich deshalb in den Biographien (oft in ihrer spezielle Form der Ich-Erzählung überliefert) die Lebenstaten eines Menschen ausschließlich in ihrem Bezug auf die Rezeption durch den König, und nur insofern auch als "moralische Tat". Religion als Realpräsenz der Wirklichkeit der Toten (als Hinübergegangene), als Geister, als Jenseitige, doch in diese Welt real hereinwirkende - dieser Gedanke findet sich in den ältesten Zeugnissen des Religiösen. Zeigen die untrennbare Nähe von Religion und Totenkult.

Denn in der Grabstelle (schon der Ägypter) wurde versucht, das "Ka", die äußere Form eines Menschen, zu erhalten. "Häuser des Ka" nannte man die Grabstätten. Bereit für den Tag, an dem er wiedergeboren wurde. Real, mit Fleisch und Blut. Mitsamt seinen Lebensformen, mitsamt seinen Beziehungen, seiner Stellung, die (durch Einbalsamierung, durch Steinskulpturen, Inschriften etc.) konserviert wurden. So entstand auch die bildende Kunst, die den Toten in seinem Wesentlichen, seinem Wirklichen darstellte. Als Figurine, als Statue. Wenn seine Seele aus dem Totenreich zurückkehrte, hatte sie so ihre Form wieder, in dieser real gewordenen Erinnerung. Fand er keine Erinnerung, fand er keine Form. Sofern sie (im Weiterdenken) in diesen Formen nicht überhaupt lebendig blieb. 

Welche Koinzidenz. Der Gedanke der "Erinnerung Gottes" spielt auch im Christentum eine entscheidende Rolle der Rechtfertigung. Nur aus ihr ist eine Neuschöpfung, ein Paradies, ein Himmel denkbar. Vereinfacht gesagt, begründet sich darin die menschliche Orientierung in ihrer Schlußfolge Sein - Wahrheit - Gutheit - Schönheit - Geist Gottes. Die Hölle, in die der Böse kommt, ist das Nicht-Anwesendsein im Gedächtnis Gottes. Das Böse selbst, die Untat, ist nämlich die Seinsverfehlung. Das Böse ist nur eine Haltung, es schafft kein Sein.

Dies auf der Grundlage einer ursprünglichen kollektivistischen Realität des Menschen.** Ein Ich-Bewußtsein der Individualisierung begann sich erst in Griechenland zu entwickeln, und es sei damit nicht gesagt, daß es sich dabei um eine "gute" Entwicklung handelt. Etwa ab dem 5. Jhd. v. Chr. findet es sich wunderbar nachvollziehbar (s. B. Snell, "Die Entwicklung des Geistes") in den überlieferten Schriften allmählich, von Stufe zu Stufe, herausentwickelt. Es war demgemäß das Typische, Allgemeine, das bis dahin in einem Menschen gesehen wurde. Eine Subjektivität im heutigen Sinn gab es nicht. Das Individuum lebte von seiner Nähe zur gesellschaftlichen Mitte, seine Tätigkeiten waren "allgemeine Tägigkeiten". Sie definierten seinen Charakter: das "man" spielt, feiert, singt, tanzt, arbeitet, kämpft, aus dem sich der Einzelne zusammensetzte. Erst bei den Griechen taucht der "bios" auf.

Aber wessen immer´sich die Menschen rühmen - Ruhm ist die Zuschreibung eines Allgemeinen. Niemand wird gerühmt, Werte erfunden zu haben, die nur er lebte. Der Ruhm zielt auf das, was man für andere war (bzw. ist). Weshalb er die größte Versuchung zur Rückgratlosigkeit darstellt. Aber auch hier: in tiefer Verwurzelung zu den Grundwahrheiten des Seins und Lebens. In den Guten Taten, die seine Moral anzeigen, seine Reinheit, seine Sittlichkeit, erlangt der Mensch Rechtfertigung, im Sein zu bleiben.***

Übrigens tauchte diese Form der (ägyptischen) Biographisierung des Menschen in der Renaissance wieder massiv auf - am Beginn des Massenzeitalters (gerade! in seiner Individualisierungssucht, die nur anzeigt, daß das Individuum beginnt, Angst vor Zerfall zu erleben). Denn der Kollektivismus der Frühzeit muß keineswegs als "Nicht-Individualität" gesehen werden. Vielmehr war das Individuum in seinem Einzelsein so sicher, daß es dieses Einzelsein nie thematisieren mußte. Erst als das Ganze zu zerfallen begann, dort, wo der Kreis der Bindungen und Zueinanderordnungen zu zerfallen beginnt, beginnt auch der Einzelne die Notwendigkeit zu empfinden, sich selbst (positivistisch) in der Welt zu halten, um der Angst individuell ins Nichts zu fallen zu begegnen.

Der Tod vereinzelt, das ist sein eigentlicher Schrecken: Trennung damit nämlich auch von Gott, dem Sein. Aber im Totenkult wird der Verstorbene im Sein des Kosmos gehalten weil darin präsent. Auch den Griechen war noch die schlimmste Vorstellung - vergessen zu werden.****




*Es erhellt noch mehr für die Gegenwart, wenn man die prinzipielle Nähe von Vater und König dazudenkt. Dazudenkt, daß alles kulturelle Leben eine Suche des Vaters ist, dessen Ideen - als Wurzel allen Glücks - ein geglücktes Leben darzustellen vermag.

**Oh Undenkbarkeit einer Revolution! Wer die Ordnung der Welt zerstörte, zerstörte auch den Frieden der Toten, ja des ganzen Weltkreises. Revolution und Apokalypse - untrennbar nahe. Der Vater als Schlußstein des Kosmos, ohne den alles zusammenfiel. - Das Offensichtlichste, übrigens, an Familien "ohne Vater" (also nicht, wenn er verstarb, sondern wenn er depotenziert oder gar hinausgeworfen wurde) ist die Zerrüttung der Identität der gesamten übrigen Familienmitglieder. Mit allen Begleiterscheinungen, wie Neid, Familienmobbing, etc.

***De mortui nihil nisi bene! Sie, die sich nur noch durch das Rückbleibende vor dem Gericht - dem Abwägen gegen die Wahrheit - rechtfertigen können, werden durch Rufmord noch nach dem Tod, durch Vergessen, ins Nichts gestoßen. Der Trost des Christentums liegt in der Erinnerung Gottes - in Jesus Christus wurde ein Weg der Verewigung gestiftet.

****Noch heute ist in den Partezetteln, Totennachrichten etc. dieser Gedanke sehr! lebendig. Dazu braucht es nicht, daß die Menschen die Zusammenhänge bewußt sehen oder denken, es ist für die Wirklichkeit des Tuns irrelevant. Sprüche wie "Tot ist nur, wer vergessen ist", "Lebst in unseren Gedanken weiter", sind auch heute äußerst verbreitet. Sie haben tief religiöse Wurzeln. Der wirkliche Tod auch der Väter, die man heute aus den Familien herausbricht, ist die bewußte Inszenierung ihres Vergessens, die Fälschung der Erinnerungsgeste. Dasselbe, was man heute im "Mobbing" so gerne zitiert - als Mord am noch Lebenden. Dieselben Wurzeln.




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