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Mittwoch, 13. Februar 2013

Kultur stammt nicht aus Sublimation (4)

Teil 4 ) Reflexive Zielungen der Seele - der Selbstwerttrieb



Sie menschliche Seele ist auf sich nicht nur wahrnehmend, vorstellend, denkend und erkennend bezogen, sondern das, was ihr von ihrem Eigenleben bewußt ist, erscheint ihr auch mehr oder weniger wertvoll. In Akten der Gegenwart oder Vergangenheit, in Regungen, findet sie sich weniger oder mehr gut oder schlecht. Gerade um diese Wertbefindungen konzentriert sich das Seelenleben besonders dicht. Und sie drängt in ihren praktischen Zielsetzungen darauf hin, besonders viel Gutes, und möglichst wenig Schlechtes zu finden. Somit kann man sagen, schreibt Pfänder, daß das Seelenleben besonders darauf abzielt, viel von Selbstwerten zu haben, und sich möglichst wenig von Selbstunwerten bestimmt zu sehen, bzw. bestimmen zu lassen.

Darin zielt die Seele besonders auf das Außen ab. Sie sucht vor allem Werte, die auch bei anderen wertgeschätzt werden, während sie Unwerte, die anderen verborgen bleiben, leicht toleriert. Insofern könnte man das reflexive Innenleben der Seele als Folge transitiver Triebe bezeichnen.

Aber das reicht nicht. Denn die Seele sucht durchaus auch Werte, die für sich gelten. Sie will nciht dumm, unehrlich, neidisch, mißgünstig, schadenfroh oder bösartig sein, wenn sie dies für unwertvoll hält. Und will dies nicht nur, um äußere, transitive Ziele zu erreichen. 

Unwillkürlich strebt sie auf der anderen Seite nach Prädikaten, die ihr vermeintlich einen Selbstwert geben. Sie will gescheit, regsam, vornehm, zurückhaltend, wahrhaftig, ehrlich oder wohlwollend und gütig sein, auch wenn sie dadurch nicht irgendwelche transitiven Ziele erreichen will. Das weist auf einen reflexiven Selbstwerttrieb hin, der die dauernde Grundlage für diese Zielungen ist.

Selbst wenn die Menschen von diesen Vorgängen in ihrer Seele oft nichts wissen, so wird ein großer Teil des menschlichen Seelenlebens von diesem Trieb bestimmt. Vor allem die geheime Geschichte vieler Seelen läßt sich daraus erklären. Und daraus gehen auch viele reflexive Zielungen hervor. Die Seele sucht sich nach positiven Werten ab, versucht sie zu vergrößern, ob in Gegenwart oder Vergangenheit, und versucht dabei zu bleiben, während sie negative zu verkleinern und zum Verschwinden zu bringen versucht, ja sie ablehnt oder gar haßt, und zu vermeiden sucht. Auch transitiv wird sie tätig, sucht Tätigkeiten, die in diese und jene Richtung des Selbstwerts zielen.

Mit allen Täuschungsmöglichkeiten: ein positiver Wert erscheint kleiner als er ist, wird er mit höheren Werten verglichen, größer, geschieht dies mit negativen. Dies zeigt sich vor allem im Vergleich mit anderen Menschen, als Überhebung, oder als Niederschätzung anderer, indem sie sich mit deren negativen Seiten vergleicht. Oder solche Vergleiche überhaupt vermeidet, und sich aus sich selbst heraus "schätzt", und darin gar kein Maß mehr findet.

Oder sie täuscht sich durch Gleichsetzung mit äußeren Werten, mit Besitz, anderseits durch Gleichsetzung mit äußeren Übeln. So gehen viele Strebungen nach Äußerem gar nicht aus dem Hab- und Abwehrtrieb hervor, sondern aus dem Selbstwerttrieb.

Was sich auch auf die eigene Körperlichkeit bezieht. Leicht schätzt sich der Gesunde, Starke, auch als "besserer Mensch", und umgekehrt. Oder er schätzt sich besser, weil er nach feineren sinnlichen Genüssen strebt, als andere. Und wie oft versucht der Mensch, durch Kontakt mit Wertvollem (oder Bildungsgütern) in der Welt sich selbst diesem höheren Selbstwert zuzuordnen. Oder er versucht durch Teilhabe an bestimmten Leistungen die darin enthaltenen Wertzuerkennungen auf sich übergehen zu lassen.

Wie leicht täuscht sich der Mensch darin, seinen Selbstwert dadurch steigern zu können zu meinen, indem andere über ihn hohe Meinung haben, so wie umgekehrt, niedrige Meinung ihn selbst als unwert erscheinen läßt. Und richten ihr Streben darauf, diese Meinung anderer zu beeinflussen. Ihre Wertigkeiten zu zeigen und anerkannt zu finden, ihre Unwerte zu entkräften oder verschwinden zu lassen, oder jene zu entwerten, die über sie schlechte Meinung haben. In der irrtümlichen Meinung, dadurch Selbstunwerte zu vermeiden, oder Selbstwert zu steigern.

All das bestimmt oft in hohem Maß das Seelenleben. Aber es befriedet nicht den Selbstwerttrieb. Nicht in der Leistung, nicht in der Fülle der Macht, ja in keinem noch so umfangreichen äußeren Tun findet er seine Ruhe. Auch nicht darin, den Wert der äußeren Umtriebigkeiten möglichst aufzubauschen, überall dabei zu sein, überall seine Meinungen zu äußern und über alles Bescheid zu wissen. 

Alle diese praktischen Strebungen können sogar maßlos werden ... ohne den Selbstwerttrieb zu beruhigen.

Und dennoch, so ausgefaltet dieser Trieb sein mag, so weitreichend er sich auswirken kann - er reicht nicht, um alles Seelenleben, alle Zielungen der Seele zu erklären, verstehen zu können. Der Mensch hat Zielungen, die nicht auf die Vermehrung des Selbstwerts, die Vermeidung des Unwerts abzielen. Umgekehrt bleiben die transitorischen Triebe tätig und erhalten, wenn sie nicht auf den Selbstwert abzielen. Er kann also nicht als der EINZIGE Trieb gesehen werden.

Der erwachsene, gesunde Mensch verzichtet durchaus oft auf Dinge, die seinen Selbstwert erhöhen könnten - und zwar nicht einfach aus Ohnmacht, sondern weil sie zu seinem besonderen Wesen nicht paßt. Er verzichtet also. Und genauso vermag er mit Unwerten zu leben, weil sie die Konsequenz aus diesem Wesen sind, die er erträgt. Je reifer die Seele ist, desto mehr kann sie sich zu solchen Werten und Unwerten verhalten. Versucht nicht, wie der Jugendliche, egal welche Werte auch in sich zu sammeln, egal welche Unwerte (bei anderen) zu vermeiden.

Ein Gedächtnis, das zwar das Wesentliche behält, aber die Details vergißt, mag mangelhaft sein, aber es kann zu einem Wesen gehören, das genau solch ein Gedächtnis zurecht als Wert schätzt und in seiner Aufgabe braucht, obwohl es auch ihm möglich wäre, diese Art zu verändern. Aber diese Seele erduldet eben diesen Mangel.

Versucht anders eine Seele, ALLE Werte zu vereinen, sich anzueignen, wird sie maßlos und ausgewuchert. Eine solche Seele, die alles in sich zu vereinen sucht, wirkt nicht vollkommen, sondern monströs und wirr, und gerade diese Seele wäre im Ganzen von großem Unwert. Die bloße Anhäufung aller möglichen Werthaltigkeiten macht noch kein wertvolles Ganzes.

Jede Seele hat also eine ihr eigentümliche Art, die bestimmt, welche selbstwertgebenden Eigentümlichkeiten zu ihr passen, und welche nicht. Vielmehr bedeutet also ein solches maßloses Streben ein Verlassen der Eigenart, also eine wirkliche Entartung, eine Selbstwertsucht. Diese kann durchaus dadurch entstehen, als man z. B. die an sich wertvollere feinsinnige Seele neben die grobkörnige stellt, dabei aber übersieht, daß jede für sich ihren Selbstwert im Eigenwert erst findet. Nicht, indem die grobe Seele zur feineren strebt. Das belgische Brauereipferd kann aber niemals der elegante arabische Renner werden. Es würde nur sich selbst in seinem Eigenwert verfehlen.

Es muß also ein noch tieferer, reflexiver Trieb vorhanden sein, der dem Selbstwerttrieb sein Maß und seinen verständlichen Sinn gibt. Denn die menschliche Seele erfährt keineswegs bei JEDEM Wert, der ihr begegnet, die Aufforderung, ihn zu verwirklichen, und jenes Streben ist ihr durchaus nicht selbstverständlich. Vielmehr strebt die Seele nach Erhöhung ihres Wertes IM GANZEN, als Ganze. Nicht nach beliebiger Vermehrung ihrer Werthaltigkeiten. Und erst aus solchem Totalwert ist der Selbstwerttrieb heraus verständlich - es muß also noch einen Trieb geben.



Teil 5 nächste Woche) Der reflexive Leistungstrieb



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