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Sonntag, 7. April 2013

Bewußtsein als Akt

Es war ein folgenschwerer, sich heute, zumalen in der Psychologie, festsetzender Irrtum, Lebens- und Bewußtseinsprozeß in eins zu setzen, schreibt Melchior Pálagyi. Vielmehr läßt sich aus verschiedenen Tatsachen rückschließen, daß zwar der Lebensprozeß kontinuierlich verläuft, daß man dies aber von den Bewußtseinsprozessen nicht sagen  kann, ja daß sich zeigt, daß diese auf dem Lebensprozeß aufruhen. Das geht wesentlich auf die Auffassung zurück, die Descartes verankert hat, der ein kontinuierliches Bewußtsein annahm, wenn er "cogito - ergo sum" sagte, damit das Menschsein selbst mit Bewußtsein gleichsetzte. In dieser Form stimmt das aber nicht.

Man nehme nur die Narkose, das Delirium, Ohnmachten, oder auch den Schlaf und den Traum. Vielfach wird ja Wachen mit Träumen in eins gesetzt, so als ob unser Wachbewußtsein lediglich eine andere Form der Traumzustände wäre. Wer dies nicht zu unterscheiden weiß, wie es ein Kind allmählich lernen muß, weiß auch nicht, was Wirklichkeit bedeutet. Das Fluktuieren zwischen Wachen und Schlafen ist vielmehr ein Lebensprozeß.

Dabei wird häufig so getan, als wäre das Träumen selbst ein quasi zweites Bewußtsein, eine Fähigkeit, die der heutige Mensch vernachlässige, in dem sich hellseherische (und andere) Fähigkeiten und Talente und Einsichten entfalten würden. Viele okkultistische, spiritistische Ansichten beruhen auf solcher Qualifizierung, in der das wache Bewußtsein übertrumpft werden soll, was sogar dazu führt, das Wachbewußtsein als Fortträumen zu sehen. Descartes führt das Träumen sogar als Erweis seiner Ansicht des kontinuierlichen Bewußtseins an. Aber Wachen und Schlafen sind lediglich Aktualisierungszustände des Bewußtseins. Als Akte, die vom Lebensprozeß abhängen. Der Traum ist nicht einfach derselbe Bewußtseinsakt, wie im Wachen, er ist diesem gegenüber (damit auch als Geistigkeit) vermindert.

Zum einen zeigt sich das, weil wir unser Bewußtsein, wenn wir müde sind, neu anfachen können - Bewegung, aufputschende Mittel, neu gefesseltes Interesse etc. Darin erweist sich, daß unser Wachen, unser Bewußtsein (und damit unser bewußtes Denken) abhängig und "zu leisten" ist. Diese Leistung kann auch aussetzen, ohne daß der Mensch tot wäre. Wie bei der Ohnmacht deutlich wird.

Während der Lebensprozeß sich in Rhythmen gegliedert findet. Schlaf und Ohmacht sind etwas, das dem Bewußtsein lediglich widerfährt, wo es sich leidend verhält, wo der Bewußtseinsstrom unterbunden wird. Man muß also unterscheiden zwischen den Momenten, wo das Bewußtsein etwas tut, und jenen, wo ihm etwas vorgeht. Es ist falsch, einfach von "Bewußtseinsvorgängen" zu sprechen, egal was sich im Bewußtsein vorfindet. vielmehr sind es jeweils Bewußtseinsakte (Denken, Wollen, Phantasie), die aber ihre Bestimmung nicht aus sich selbst erhalten, also auch ihre Beurteilung nicht aus sich selbst erfahren können. 

Es ist etwas anderes, bloß zu leben, und wieder etwas anderes, mit Bewußtsein, namentlich mit wachem Bewußtsein zu leben.

Wie ein Ruderer fährt also unser Bewußtsein auf dem Lebensstrom dahin. Und ist wie ein Ruderer mal müde, mal untätig, mal voll aktiv - bzw. rhythmisch tätig, und zwar eingebettet in einen geistigen Strom. Diese beiden Dinge dürfen nicht verwechselt werden, vital und geistig müssen auseinandergehalten werden. Erlebnis und geistiger Akt sind zwei verschiedene Dinge!

Schon der Schlaf zeigt, daß Lebensprozeß und Bewußtsein unterschieden sind. Wenn wir schlafen, leben wir, aber wir sind uns des Schlafes nicht bewußt. gleiches gilt für alle anderen Bewußtseinsunterbrechungen. Umgekehrt sind wir uns nicht immer unseres Lebens und Wachseins bewußt. Es gibt also Lebensprozesse, die nicht mit dem Bewußtsein ihres Stattfindens zusammenfallen, beide sind nicht identisch.

Auch sind nicht einmal alle Wacherlebnisse mit deren Bewußtheit verbunden. Man denke nur an das Ticken einer Uhr, das man mit der Zeit "nicht mehr hört." Obwohl man sagen muß, daß Wahrnehmungsprozesse selbst immer mit Bewußtseinsprozessen zusammenfallen. (Weshalb sie ja so leicht verwechselt werden.) Reine Empfindungsprozesse also drängen zwar zur Bewußtwerdung, aber diese selbst ist wieder ein (gradueller, geistiger) Akt. Empfindungen sind also Prozesse, Bewußtwerdungen aber Akte. 

Erstere können aber sogar die Bewußtseinsprozesse behindern, oder so in Beschlag nehmen, daß weitere Intentionalität (zur Bewußtwerdung) unterbleibt. (Wenn einen z. B. eine Empfindung übermannt, man sonst nichts mehr "sieht" oder "hört" als eine bestimmte Empfindung.) Empfindungen können also Schwungbrette des Geistes sein, aber auch seine Behinderung. Während geistige Prozesse den bloßen Lebensprozeß im umgekehrten Sinn beeinflussen können - durch sein Lenken kann er ihn behindern oder fördern. 

Die Empfindungen selbst aber sind nicht, wie der jugendliche Schwärmer gerne glaubt, unsere eigenen Hervorbringungen.* Die sinnliche Erscheinung selbst ist noch keine Erscheinung des Geistes. Geistiges ist mehr als bloße Sinnesempfindung, Psychisches nicht gleich Physisches. Bewußtsein kann verlöschen, aber auch wieder aufleuchten.

Dabei darf nicht vergessen werden, daß sinnliche Wahrnehmung, Empfindung, in unserem vitalen Prozeß eine Veränderung hervorruft, und DESHALB sich dem Bewußtsein vorstellt. Alles als Welt Gegebene muß uns notwendig durch irgendeinen Vorgang des Lebensprozesses gegeben sein. Mit Vorbehalt, aber doch, schreibt Pálagyi, kann man also sagen, daß alles in der Welt Geschehende zunächst nichts weiter ist als ein Vorgang innerhalb unseres eigenen Lebensprozesses. Der uns auf diese Weise die ganze Welt präsentiert. Es liegt aber an einem anderen Akt, sie als solche bewußt und geistig zu erfassen.




*Gerade im Jugendlichen zeigt sich etwas, das dem jungen Menschen verziehen sein mag, aber als erwachsene Haltung abzulehnen ist: Daß eine schwierige Leistung, und die ist das Denken, einfach durch Begriffsverwirrung, durch Verzicht auf Begriffsschärfe, durch Vermeidung von Mühe (die der junge Mensch ja erst allmählich aufzubringen, ja zur Haltung auszubauen lernen muß, das ist ja dann Tugend) umgangen wird. Das Erschreckende heute ist, daß auch dem Alter nach Erwachsene kaum noch in der Lage - nein, gerade in Anbetracht des Gesagten: WILLENS - sind, überhaupt zu denken. Vieles, ja das Meiste der heutigen Verwirrung, ist auf reine Begriffsunschärfe zurückzuführen, die man lieber erträgt, als die Mühe der geistigen Scheidung. Denken ist ein sittlicher Akt, keine logische Summe die sich von selbst zieht, das soll mit diesen Überlegungen Pálagyis gezeigt werden. Irrtum - zu unterscheiden vom "noch nicht erkannt haben" - ist eine sittliche Fehlleistung, nicht primär Fehlen von Information. Newman sagt es einmal umgekehrt, indem er sagt: "Wo immer ich sündige, will ich nicht glauben, nicht erkennen."





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