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Mittwoch, 17. April 2013

Eins greift ins andere

Auf einen bemerkenswerten Zusammenhang stößt man in den Ausführungen Riehls über die deutsche soziologische Landschaft, zwischen dem Zerfall des Familienbegriffs als "Haus", das unter einen Namen gestellt ist, und der Umgestaltung der ökonomischen Landschaft - auf Kreditwirtschaft.

So lange, und selbst heute noch dort, wo die Familie als "Haus" verstanden im wesentlichen einem Ziel dient - eben dem "Haus", der Einung aller Kräfte sogar im Beruf innerhalb eines Familienverbandes bzw. einer Familie, so lange haben die Tätigkeiten der Familie auch in ihrem Mitgliedern die Stoßkraft größeren Besitzes, von Kapital. Den Adel beneidet man in diesem Punkt mit Recht, der sich in seinen Resten diesen zusammenhalt oft noch beispielhaft bewahrt hat, und ihn diesem Punkt, dem historischen Familienbewußsein, verdankt.
In fast allen europäischen Staaten fand sich der Grundsatz, daß der Hausfriede über dem Gesetz stand - weil der Zweck des Gesetzes ... der Schutz der Familie in ihrer Auktoritas, als natürlicher Organismus, war.
Zerfällt aber die Familie laufend in herausgelöste - emanzipierte - Kleinglieder, so zerstreut sich auch die Stoßkraft, das Kapital der Familie. Die nunmehr in vielerlei Berufen zersplitterte Ursprungsfamilie zerfällt in lauter kaum noch überlebensfähige, zumindest aber kaum noch leistungsfähige Klein- und Kleinsfamilien, wenn nicht in Einzelpersonen, getrennt noch dazu durch verschiedenste Berufe und Ziele. Das drückt sich auch im Erbrecht aus, das lange schon keinen Alleinerben oder Haupterben kennt, sondern alle Kinder eines Elternpaares gleichermaßen als erberechtigt sieht.

Gleichzeitig fördert die erhöhte Ausbildung der Teilglieder den Ehrgeiz, das Streben. Die Folge ist klar: Das Wirtschaften wird zu einem Wirtschaften mit Fremdkapital, wo viele kleine Teile nie mehr die Selbständigkeit und Unabhängigkeit eines geeinten Großen haben. Mit jeder Generation, mit jedem emanzipierten Familienmitglied, muß das Spiel um Selbständigkeit von vorn beginnen. Gleichzeitig haben alle diese autonomistischen Glieder genau das nicht mehr, was zur Autonomie dazugehört hätte: Die Fähigkeit, aus familieneigener Kraft auch Krisen durchzustehen. Sie sind stattdessen auf den anonymen und anonymisierten Staat angewiesen, samt allen Folgen auf die Identität, die Psychologie dieser neu entstehenden Schichten, samt der Proletarisierung dieser Schichten. Und samt einem Verlust der politischen Bedeutung der Familie, ja damit der Individuen.

Wären die Familienstrukturen erhalten geblieben, hätten sich regional selbst Armutserscheinungen, Verelendung, gar nie so entwickelt, wie sie sich in der Realität zeigten. Riehl zeigt das bereits an den Wirtschaftsstrukturen einzelner deutscher Landschaften, wo solche (so gut wie immer in historischen Ereignissen in Konnex stehenden) Entwicklungen über das 18./19. Jhd. zu völligen Umbrüchen in der Ökonomie geführt haben.

Mit völlig veränderten Anforderungen - bis hinein in den Wohnbau, Straßenbau, Schulen - an die letzte Gesamtstruktur, die noch erhalten blieb - den Staat, der zunehmend Geldbedarf aufbaut. Als nächste Etappe im Kampf des Staates um Zentralmacht mit direktem Durchgriff, wie er sich im Ausgang des Mittelalters als Kampf der Kaiser und Fürsten gegen den Adel als Stand zeigte, in der Umdeutung von "Reich" auf "Staat".

Eine Volkswirtschaft also, die auf emanzipierte Wirtschaftsteilnehmer aufbaut, ist ohne jeden Zweifel für Geldkrisen anfälliger, als eine, in der die Familien noch mehr generationenübergreifend als geeintes "Haus", das auch für künftige Generationen zu erhalten ist, verstanden werden.

Es ist bezeichnend, daß trotz so offensichtlicher Tatsachen fast nirgendwo in Europa Politik betrieben wird, die diesen grundlegenden Fakten Rechnung trägt. Ja zum Gegenteil. Dabei sind auch von dieser Warte aus ständig weiter steigende Schulden auch als Folge des Zustands der Familien anzusehen.

Gleichzeitig sind auf jeden Fall immer weitergehende Verschärfungen zu erwarten, die zwischenmenschliche Verbindlichkeit bzw. "Familienhaftung" auch ohne Institutionalisierung per Gesetz zu verordnen, zumindest zu stärken. Als Unterhalts-, Obsorge- oder Haftungspflichten ohne bzw. außerhalb bisheriger Rechtsrahmen (bzw. mit der Vorschützung eines solchen), ja generell als willkürlich zum Kapital hingeneigte Haftungsfrage, wie über immer mehr ausgeweiteten Konsumentenschutz auch längst zu bemerken ist. Theoretisch müßte man sogar die "Homosexuellen-Ehe" als solche Maßnahme sehen. Wie es sie bei der Altenpflege oder dem Unterhaltsrecht in Österreich ohnehin lange schon gibt. 





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