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Donnerstag, 25. April 2013

Rückfall in Urzeiten

Wir beherrschen zwar die Räume, schreibt Rosenstock-Huessy in "Vollzahl der Zeiten", aber nicht die Zeit. Ja, über die haben wir die Herrschaft verloren. Deshalb taucht parallel mit der Beherrschung der Räume das Gefühl auf, am Ende der Zeiten zu stehen. 

Denn Sinn ist an Zeit gebunden, nur in der Zeit kann er sich entfalten bzw. muß er sich erst in ihr entfalten. Mißachten wir das, zerrütten wir die Räume. Die Menschheit kann die Vielzahl der Zeiten, die in den Individuen ablaufen, nicht mehr harmonisieren. Die Welt, als Raum, verliert die menschliche Gestalt, herrscht über uns - statt wir über die Welt. Eine besondere Groteske, angesichts des Arguments, die Technik unserer Zeit, rein auf Beherrschung der Räume ausgerichtet, die Zeit regelrecht knebelnd (über die lineare Zeit der Uhr, die die Zeit in den Raum, vom Menschen weggedrückt hat), hätte uns die Beherrschung der Welt gebracht.

Die Welt hat sich verräumlicht, einseitig, aber dabei das verdrängt, was Räume schafft - die Zeit. Diese Raumbeherrschung, ja dessen Vernichtung (Nichtung),* ist in einem Rückgriff auf die Antike erfolgt, in der Renaissance. Alle Geschichte seither ist eine Geschichte der Beherrschung des Raumes. Weil wir den Zusammenhang menschlichen Lebens, menschlichen schöpferischen Seins, mit der Zeit immer wieder ignoriert haben, folgt sogar, daß sich auf der Erde heute "zu viele" Menschen befinden. Das menschliche Leben hat seinen Halt verloren. Es torkelt durch die Räume, ohne Zeit zu haben, getrieben von objektivierten, entsubjektivierten, unschöpferischen Raumnotwendigkeiten.

Daraus folgt, daß wir, weil wir letztlich dieser Zeit nicht entbehren können, in eine vorhomerische, vorgriechische Zeit zurückfallen werden. Auf der Suche nach dem, was uns einzig Zeit gibt - wir, werden wir die Gebundenheiten in Familie und Stamm suchen. Deren Gesetzlichkeiten, deren Generationenzusammenhang, ist der letzte Notgriff, der uns noch bleibt.

Daß so eine Epoche auch in einer Physik mündet, die die Zeit zu einer Funktion des Raumes macht**, erhält damit völlig neues Licht.

Was eine Ergänzung angebracht scheinen läßt - denn wenn von Einwurzelung an dieser Stelle häufig die Sprache ist, dann darf dabei natürlich nicht übersehen werden, daß diese eine Funktion der Zeit ist. Nur wenn wir die Zeit wiedergewinnen, gewinnen wir auch wieder gestaltete, beherrschte Einwurzelung in die Räume des Lebens.




*In der Entwicklung der Perspektive zeigt sich das Wesen dieser Raumnichtung: Raum wird zu einem mathematisch-positivistischen Netz, er wird seiner selbst beraubt, und zwar indem man ihn der menschlichen Zeit entreißt. Ab dem 12. Jhd. beginnt die Welt aus diesen Raumnetzen heraus gestaltet - und vergewaltigt zu werden. Indem man ihren Ursprung - die Zeit - neu definiert, zu einer mathematisch-linearen Größe macht. Mit der Perspektive wird auch das Raumempfinden dem Grundsinn des Menschen, dem Tastsinn entrissen, und dem Auge übertragen. Damit hebt sich der Gesichtssinn von seiner Grundlage ab, und beginnt zu dominieren: er soll auch den Raum definieren. Der Mensch wird sich selbst entwurzelt, und stattdessen auf das Gesehene (siehe auch: die rasante Entwicklung der Schriftlichkeit) angewiesen.

**Der große Irrtum Einsteins, wie der Verfasser dieser Zeilen zunehmend erkennt. Demnächst hier mehr darüber.





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