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Donnerstag, 11. April 2013

Schacherwirtschaft (2)

 Teil 2) Viel Geld - aber keine Arbeit




Erhöht man nun in Deutschland per Gesetz die Mindestlöhne, wie seit langem diskutiert wird, hat das auf die Kosten pro Stück also deutlich geringere Auswirkungen, als rechnerisch, das gesamte BIP betrachtet, nahelegen würde, gefährdet aber anderseits sogar die Wertschöpfungen in Ländern wie Österreich und der Slowakei, um im Beispiel zu bleiben. Denn die Kaufkraft in Deutschland selbst - die "Kaufkraftstärkung im Inland" - durch höhere Löhne kann die Exporthindernisse durch Preissteigerungen oder Erlösschmälerungen nicht kompensieren.

Denn damit sind auch die offiziellen Export-Import-Bilanzen kein ausreichender Parameter, um Aussagen über die Wirtschaftskraft in Deutschland zu treffen. Schon gar, weil das einströmende Geld nicht in Investitionen fließt, die die Wertschöpfung im Inland erhöhen.  Deutschland baut nur hohe Finanzreserven auf. Das würde auch mit der Tatsache übereinstimmen, daß die Direktinvestitionen Deutschlands im Ausland (sic!) in den letzten Jahrzehnten sehr stark gestiegen sind. Sprich: Das Werk in der Slowakei, das die Vorprodukte herstellt, oder die Erzabbauanlage in Kenia, die das Erz nach Österreich liefert, ist mit deutschem Geld gebaut worden. in Fertigungsanlagen der unteren Produktstufen im eigenen Land wurde und wird aber gar nicht mehr investiert, weil anderswo die Löhne ohnehin viel niedriger sind. Alleine 2010 hat Deutschland 85 Mrd. Euro im Ausland direkt investiert. Zum Vergleich: Die Summe betrug 1993 noch 15 Mrd. DM, 2010 also das 12fache, bei einem Gesamtvolumen von mittlerweile über 1 Billion Euro.

Während die Investitionen des Auslands IN Deutschland im Verhältnis zwar gleichfalls steigen, wenn auch "deutlich verhaltener" - sie beliefen sich 2010 auf rd. 700 Mrd, Euro - aber nicht in Produktionsstandorte im obigen Sinn der Wertschöpfung fließen. Merkmal: Die davon betroffenen Beschäftigtenzahlen (2,1 Mio.) haben 2010 stagniert, die Anzahl der unterschiedlichen Investitionsobjekte (14.400) war rückläufig. Während sich der Gesamtumsatz dieser Investitionsobjekte im Jahre 2010 um 7 % auf 1,3 Billionen Euro steigerte. (Zahlen: Deutsche Bundesbank) Immer mehr - auf immer weniger, mit immer weniger Beschäftigten also, in immer mehr reine (überspitzt formuliert) Geldproduktion.

Und DAS zeigt die wirkliche Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft an - es werden immer mehr Produkte im Ausland produziert, weil es in Deutschland zu teuer ist. Deutschland wird zum "Basar", ist nicht mehr "Werkbank", die frühere Stärke des Landes. Die - so kann man das durchaus sagen - auf die hohe (wie immer man das bewertet:) sittliche Qualität, die sprichwörtliche Arbeitsmoral der Bevölkerungsmassen zurückging. Das Gesamtprofil der Volkswirtschaft hat sich zur Moral der großen Händler verlagert, es sei bewußt so simplifiziert.

In Wahrheit also sind auf die Lohnstückkosten gesehen die Löhne vor allem im Niedriglohnsektor zu HOCH (gewesen), nicht zu niedrig, konnten durch gesetzliche Regelungen (etc.) nicht den veränderten Marktbedingungen (der Konkurrenz durch Billiglohnländer) angepaßt werden. Das äußert sich auch darin, daß ganze Branchen (wie Textil oder Leder, Grundprodukte also vor allem) nur noch Importware anbieten, mangels Konkurrenzfähigkeit nichts mehr in Deutschland produzieren.

Im Insgesamt einer Volkswirtschaft betrachtet, bezeichnet Sinn diese Entwicklung als "pathologisch". Weil sie einen großen Teil eine Volkswirtschaft, ganze Stufen, ganze Bevölkerungsgruppen - vor allem: die einfachen Leute, um es salopp zu formulieren -, nach und nach aus dem Wirtschaftskreislauf nimmt (dabei staatsabhängig macht, so nebenbei), und so die Selbstregulierungskraft eines Landes als Organismus aushöhlt.

Deutschland kann sich das dann zwar monetär gesehen "leisten", aber es produziert weniger "pro Stück" Export. Das deutsche "Exportwunder" könnte also ein tönerner Koloss sein, der Fehlentwicklungen zu verdanken ist und die Strukturschwächen verdeckt.

Das ist deshalb von Relevanz, weil die EU Deutschland bereits mehrfach - unter Androhung von Sanktionen - gemahnt hat, etwas gegen diese hohen Exportüberschüsse zu unternehmen, vor allem: die Löhne zu erhöhen, um die Inlandsnachfrage (und damit den Import) zu erhöhen, den Wettbewerbsvorteil durch eben die im Verhältnis niedrigeren Löhne auszugleichen.

Wenn man dem gegenüberstellt, daß der Anteil der Wenigqualifizierten noch dazu eher steigt als fällt (über einen Teil der Gründe dafür wollen wir aus political correctness schweigen), stellt sich das Problem noch dringender. Denn natürlich kann man sagen, daß Geld doch "keine Mascherl" habe, es doch egal sei, womit es verdient würde. Nur: die Realentwicklung der Bevölkerung spricht anders. Wirtschaft wird also noch mehr zu einer rein rechnerischen Größe, die das Leben bestimmt - nicht das Leben der Bevölkerung die Wirtschaft, als Ausfluß ihres schöpferischen Lebensvollzugs.

Deutschland wird noch mehr zentralistisch, und ist in höchstem Maß von weltwirtschaftlichen Gesamtentwicklungen abhängig, die es aus sich heraus noch weniger ausgleichen kann. (So gesehen ist auch das Tempo, mit dem eine EU-US-Wirtschaftsfreiraum geschaffen werden soll, nicht verwunderlich, denn der politische Einfluß muß international gesehen damit größer werden.**) Gleichzeitig wird Kapital selbst noch mehr, ja immer ausschließlicher "systemrelevant": Es ist nur noch Geld, von dem Deutschland dann lebt, nicht mehr Arbeit, formuliert man es überspitzt.

Daß Sinn in seinen Aussagen über den Umbau zur "'Basarwirtschaft" im Wesentlichen richtig liegt, bestreitet niemand. Aber man streitet nun, wie sich dieser Umbau der deutschen Wirtschaft, der sich in den letzten 10, 20 Jahren vollzogen hat, tatsächlich auswirkt. Ob es also überhaupt Sinn hat, die Löhne zu erhöhen, um die extremen Exportüberschüsse einzudämmen.




*Wobei die Hälfte dieser Investitionen auf Holdings in Luxemburg und den Niederlanden entfallen, hinter denen aber Kapitalien aus den USA und England stecken.

**Da fallen einem Argumente aus der Zeit vor 1914 ein, die die "Notwendigkeit" des Deutschen Reichs, ihre Macht weltweit auszudehnen, mit eben solchen wirtschaftlichen Interessen, in der Notwendigkeit von Kolonien (was dann das 3. Reich in der Richtung auf Osteuropa änderte) begründet hat. Mit dem simplen Grundsatz: Wo die deutsche Wirtschaft investiert hat, ist auch politisch deutscher Anspruch vorhanden. Wobei das natürlich kein spezifisch "deutsches" Problem ist, und im Grunde sogar richtig ist. 
China hat in anderem Maßstab ähnliche Probleme, und ähnliche Lösungsansätze, mit gewaltigen Auslandsinvestitionen. Auch dort wird lange schon darüber diskutiert, daß das Land zu schwache Inlandsnachfrage habe. Die Gründe sind nur scheinbar anders als in Deutschland. China importiert weit mehr Produktvorstufen, als man meist glaubt, und weiß selber, daß seine Innovationskraft, die sich ja nur darauf beziehen kann, seine große Schwäche ist - China ist ein "Ensembling-Land", nach wie vor.






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