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Freitag, 3. Mai 2013

Blick in die Hölle

Das einzige, was man aus Biographien wie jene von Michael Lewis in "The New New Thing" über einen der Pioniere des digitalen Rausches, der über uns hinwegbraust, über Jim Clark, entnehmen kann, ist nicht so sehr Neues, sondern das Entsetzen, daß der Eindruck wirklich stimmt, den man haben muß: Die Welt in der wir leben ist von Männern hervorgetrieben worden, die charakterlich höchst fragwürdig vor allem ein Ziel verfolgt haben: Gier und unerwachsener Wahnsinn.

Und Gier war auch das Motivans, daß sich diese Welt so rasant ausgebreitet hat. Menschliche Vernunft, schöpferische Gestaltung der Welt war und ist ausgeschaltet. Die Technik trieb und treibt sich aus sich selbst hervor, als reines Spiel der Möglichkeiten, deren Rausch sich epedemieartig ausgebreitet hat, weil ihm alle Tore geöffnet wurden. In einem Spiel, das am besten von Menschen beherrscht wird, die ihre Mitte verloren haben, so sie überhaupt je eine hatten, deren "Wirken" Selbstmißbrauch und Mißbrauch der Welt ist, Cleverness, nicht mehr. Mit einem einzigen Ziel: Geld und Macht, mit der sie Mauern um sich errichten, die ihnen jeden Kontakt mit der wirklichen Wirklichkeit abwehren.

James H. Jim Clark - Jahrgang 1944, studierter Physiker, Prototyp dieser Kategorie - hat ein Unternehmen nach dem anderen gegründet, von 3D-Graphik beginnend, über Netscape, myCFO und schließlich Healtheon. In einer Art Selbstläufertum hat der einmal gewonnene Name als "Innovator" gewinnhungrige Milliarden flüssig gemacht, und Jim Clark selbst zum vielfachen Milliardär gemacht. Er wurde damit zum personifizierten Silicon-Valley-Mythos der 1980er Jahre.

Wobei sich nahezu jeder Begriff relativiert. Denn diese Millionäre und Milliardäre, deren es tatsächlich viele gibt, haben ihren Status aus den bloßen Kursentwicklungen jener Aktien und Firmenanteile, die von diesem Rausch leben und in deren Licht bewertet, und mit perfider Cleverness geschachert werden. Firmen die allesamt kennzeichnet oder gekennzeichnet hat, daß sie nur selten reale Gewinne machen, sondern von der Perspektive leben, irgendwann soviel Macht und Einfluß zu haben, daß sie reale Prozessen Erträge abgewinnen können. Deren Reichtum also von Mythen und Medien und einem Kultstatus abhängt, und zwar in höchstem Maß, der die Welt ins Delirium gekickt hat, das uns bereits zu beherrschen begonnen hat, das wir längst nicht mehr beherrschen.

Im speziellen Fall handelt es sich um Menschen, die täglich 16 Stunden vor dem Bildschirm sitzen, die Welt auf der Ebene eines Computerspiels betrachten, und deren Findigkeit darin besteht, sich die reale Welt vom Hals zu schaffen - und das geht nur über Macht.  Schon Joseph Weizenbaum hat in den 1960ern gestaunt über das hohe Ausmaß von hochgradigen Neurotikern unter Leuten, die sich mit der Computerwelt befassen.

Dabei geht es nicht einmal um die Großartigkeit von Ideen. Kaum etwas, was sich da präsentiert, wäre an sich als Idee besonders beeindruckend, und auf keiner Stufe herrschen ernsthafte Überlegungen über Sinn und Wesen jener Vorgänge, die durch digitale Prozesse "optimiert" wurden und werden. Da treibt Technik sich einfach aus ihren Möglichkeiten selbst heraus.* Wozu sie benötigt wird, ist Nebensache, die den Marketingabteilungen überlassen wird. ES braucht dabei bereits einen Charakterdefekt, um solche "Ideen" überhaupt zu haben. Personen, deren kranke und monomane Persönlichkeitsstruktur - es klingt einem das heutige Gefasel von der "Hochbegabtenproblematik" laut genug im Ohr - zum "Genie" stilisiert wird, dem aller Pardon gebührt.

Dabei: nein, hier geht es nicht um die aufgeblasene Forderung nach "Moral" oder "Ethik", auch diese Begriffe werden heute längst umgedeutet. Das Privatleben egal welcher hat nichts mit der Kritik hier zu tun. Wer zum Vergleich nur (als willkürliches Beispiel) die "Reden und Aufsätze" von Heinrich Nordhoff hernimmt, dem jahrlangen Vorstandsvorsitzenden von Volkswagen in der Zeit des Wirtschaftsaufbaus Deutschlands nach dem 2. Weltkrieg, der weiß was gemeint ist. Verglichen also mit Unternehmern, deren Geisteswelt von einer Tiefe und Humanität ist, ohne daß man ihnen in allem zustimmen muß, die begreifen läßt, warum sich Deutschland so erstaunlich entwickeln konnte. Solche Menschen kann und muß man achten, und solche Menschen haben auch ihre Mitmenschen geachtet.

Wer sich selbst aber so mißbraucht, wie diese Leute, und wenn zugleich wie wir es erkennen alles was man tut Abbild der eigenen Struktur ist, weiß, was von solcher Selbst- und damit Weltverachtung zu erwarten ist. Da herrscht keine Vernunft, die Philosophien, sofern man das überhaupt so bezeichnen kann, die oft noch großspurig verkündet werden, sind lächerlicher Abklatsch der Horoskop- und Esoterikspalten von Hochglanzmagazinen und oberflächlicher Zeitgeistströmungen. Der Fisch stinkt immer vom Kopf her.

Märkte, die insgesamt umgestaltet wurden, weil sie die Wertmaßstäbe dieser Leute angenommen haben. Die oft nur in einem geschickt waren: die PR-Maschinerie zu bedienen. Und nur das hat diese Unternehmen tatsächlich dann stark gemacht. Mit dem Zauberwort der Gegenwart: Daß die Zukunft besser wird als die Vergangenheit.

Das geht so weit, daß die wirklichen A-Mannschaften (ein Begriff aus Lewis' Buch, der die früheren wirklichen Eliten meint) seriöser Wirtschafts- und Führungsebenen von jenen B-Mannschaften ausgehebelt wurden, die keine Skrupel kannten, die haltlos genug waren, Dinge zu machen, die seriösen Menschen fern liegen. Die aber damit zu Geld, und damit zu Einfluß und Macht kamen. Mittlerweile genau der Krebsschaden sämtlicher Gesellschaftsordnungen der Welt. Mittlerweile ist der entsprechende Umbau der Führungsebenen auf eben dieses "Ingenieurswesen" - literal wie übertragen gemeint - auch schon nahezu vollzogen.

So wurde das Internet "erfunden", und was immer nun noch gekommen ist. Was alles nur einen Zweck hatte: Geld zu verdienen, viel Geld, noch mehr Geld, am meisten Geld. Egal wie, egal wodurch.

Nicht von ungefähr, hat diese Wirtschaftsebene eine ganz eigene, heute nahezu alles umfassende Dynamik weil (zugelassene!) Realmacht angenommen, die jeder seriösen Wirtschaftsethik Hohn spricht. Weil sie bereits eine bestimmte - mechanistische, inhumane - Betrachtungsweise braucht, um dieses Potential zu sehen und zu nützen. Was immer auch als "Vorteile für die Menschheit" präsentiert wird, ist bestenfalls posthoc-Rechtfertigung aus dem bloßen Optimieren von Abläufen oder zufälliger Collateraleffekt. Das Schema ist: Mechanisieren ehedem humaner Prozesse, Ausschalten des humanen Faktors. Und ganz gezielt wird mit der Schwäche der Menschen gearbeitet, ja auf sie abgezielt. 

Daß diese Herrschaften sich zu einem bestimmten Zeitpunkt dann durch "humane Projekte" hervortun, stößt mehr als sauer auf. Es ist Blutgeld, das sie reich gemacht hat, und es ist Zynismus, mit dem sie "Humanität" propagieren. Getarnt unter der Substanzlosigkeit amerikanischer Selbstironie, die mit einem Lächeln vernebelt, was sie real anrichtet.




*So nebenbei: Der Verfasser dieser Zeilen hat sich jüngst einen ersten Einblick in die Welt er "Apps" und kleinen Dienstprogramm verschafft. Nur in diesem ersten Überblick kam er auf die phantastische Zahl von mindestens 100.000 Applications, die alleine für den Browser Firefox per Mausclick aktiviert werden können, und nahezu jedes denkbare Kinkerlitz abdecken, samt Apps, die diese Apps bedienen und sortieren. Will hier noch ernsthaft jemand erzählen, die Computerwelt wäre Ware in dem Sinn, daß sie "Bedarf" deckt?




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