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Dienstag, 28. Mai 2013

Das Heilige Experiment (4)

 Teil 4) Das Ende des Experiments ist das Ende der Jesuiten. Fast.




Das Ende des Heiligen Experiments kam aber nicht nur durch Intrigen am spanischen Hof, durch staatliche Behörden, irrationalem Neid und die Gier weißer Siedler, sondern vor allem seitens der Kirche selbst. Dabei hatte der Borbone auf Spaniens Thron, Philipp V., 1743 nach eingehender Prüfung durch Ministerialen vor Ort und in Spanien die Reduktionen - die u. a. all die Legenden und Verleumdungen über die Profitgier der Jesuiten entkräfteten, darunter die von einem sagenhaften Goldschatz der Jesuiten in Paraguay" - vermeintlich ein- für allemal bestätigt. 

Doch da kam es im Vertrag von Madrid 1750 in Abtauschgeschäften zu neuen Grenzziehungen zwischen Portugal und Spanien in Südamerika, getragen bereits von tiefem Haß auf die Jesuiten, die auch das Jesuiten-Gebiet auseinanderreißen, dabei die blühendsten Reducciones an Portugal abtreten sollten. Erstmals kam es zu einem Versagen der Autorität der Jesuiten, die Guaranis folgten ihnen nicht mehr, sondern ein Selbstverteidigungsreflex machte sich breit. Und sie weigerten sich nicht nur, die Siedlungen zu verlassen, sondern erhoben sich gegen die Portugiesen.

Da bildete sich eine seltsame Allianz der Todfeinde - Spanien half Portugal, den Aufstand 1754 und 1756, wo er in Schlachten kulminiert war, brutal niederzuwerfen. Als die Portugiesen nach dem Ende des Gemetzels bemerkten, daß sich in den Reduktionen keineswegs die kolportierten Goldschätze häuften, wollten sie das Tauschgeschäft mit Spanien sofort rückgängig machen, was Spanien verweigerte, woraufhin Krieg ausbrach. An diesem wurden ... die Jesuiten für schuldig erklärt, selbst vom spanischen Jesuitengeneral. Plötzlich waren sie also Rebellen.

Was war passiert? In einer Art Massenpsychose waren die Jesuiten europaweit durch gezielte Verleumdungspropaganda zu wahren kollektiven Haßobjekten geworden. Das ging so weit, daß sich selbst der Papst dazu hinreißen ließ, die Vernichtung der Jesuiten zum Gebot der Stunde zu machen. 1764 wurden die Jesuiten aus Frankreich vertrieben, dasselbe für Spanien konnte gerade noch abgewendet werden. Da wurde 1766 ein Attentat auf Karl III. verübt, das man wieder nachweislich falsch den Jesuiten in die Schuhe schob. 1767 wurden alle Jesuiten Spaniens ausgewiesen, 2617 Missionare im gesamten überseeischen Reich, von Südamerika bis zu den Philippinen, verhaftet. Die Padres der Reduktionen wurden in Buenos Aires in den Kerker geworfen, und 1768 nach Spanien verfrachtet.

Weil aber der Kirchenstaat (!) sich weigerte, sie aufzunehmen, kreuzten sie monatelang bleibelos auf dem Mittelmeer, bis ihnen Korsika Zuflucht gewährte. 1773 hob Papst Klemens XIV. die Societas Jesu weltweit auf. Wäre nicht in Rußland und Preußen aus naheliegenden Gründen jeder päpstlicher Ukas ignoriert worden, gäbe es sie heute gar nicht mehr. Denn aus diesen Ländern heraus haben sich die Jesuiten später wieder restrukturiert. Mit ihrem Verschwinden aus Amerika aber zerfiel auch Spaniens Weltreich, und mit ihrer versuchten Auslöschung schwand die Liebe aus der Mission. Es blieben nur noch auszubeutende Kolonien, deren Besitzer das Heilige Experiment immer ein schmerzhafter Gewissensdorn gewesen war.

Die Guaranis waren verzweifelt, als die Jesuiten verhaftet wurden. Die Reducciones, soweit sie nicht ohnehin bereits verwüstet waren, verfielen schnell, und die Indios wurden versklavt. Damit schritt der wirtschaftliche, sittliche und biologische Niedergang unaufhaltsam voran. Es kam noch da und dort zu kleineren Revolten, aber ohne Erfolg. Teils flüchteten sie in die Wälder, oder verkamen in den Städten. Aber sie versanken insgesamt in jene Apathie, die Vorstufe und -bedingung zum Aussterben ist.

Als Steyler Missionare 1910 in diesen Gebieten wieder beginnen wollten, das Christentum zu verkünden, waren sie erschüttert: Sie sahen sich in der Stunde Null. Sie fanden nur noch leere Ruinen.






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