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Donnerstag, 23. Mai 2013

Strukturen des Entscheidens (1)

Der israelische Psychologe Daniel Kahnemann, der 2002 den Nobelpreis für Ökonomie (!) erhalten hatte, sagt in einem Gespräch im Schweizer Fernsehen, daß das, was ihm Sorge mache, nicht die so rasch zunehmende Komplexität der Welt sei, sondern daß ihm auffalle, daß die Generation seiner Kinder und Knindeskinder - der Jungen also - im gesamten Westen keinen Optimismus mehr habe (anders, als in China). Seine Generation habe Krieg und Verfolgung mitgemacht, und in der Angst vor der Atombombe gelebt, dennoch war sie beseelt davon, daß es "morgen" besser würde, wenn man dafür arbeite, etwas tue. Es fehlt die Vision einer besseren Zukunft.

Aber leider sei das auch ... seine Sicht. Und er sehe auch sehr viel Pessimismus rund um ihn.

Auf seine Forschungen bezogen, meint Kahnemann, daß man nie einem Psychologen, der sich für Wirtschaft interessiere, Geld geben solle, das sei verschwendet. Nur umgekehrt mache es Sinn. 

Sein Mit Verhaltensforschung lasse sich aber viel in der Wirtschaft oder im Recht erklären. Zwar nenne man es Verhaltensökonomie, aber in Wahrheit sei es Sozialpsychologie, wenn etwa überlegt werde, wie man Leute dazu bringe, mehr zu sparen, oder Steuern zu zahlen.

Kahnemanns Hauptthesen behaupten, daß der Mensch weit weniger rational handelt, als gemeinhin angenommen wird. Wenn Leute auf Börsen spekulieren, die noch nie einen Wirtschaftsteil einer Zeitung gelesen hätten, weise das nicht gerade auf Rationalität in ihren Entscheidungen hin. Kahnemann unterteilt das menschliche Psyche in zwei Systeme: Im einen befinden sich Assoiziationscluster - bestimmte Gefühle, Reaktionen, Gedanken formieren sich zu Clustern, etwa wenn man das Wort "Mutter" sage, werde dabei ein ganzes Cluster berührt.
Das System 2 sei das der Anstrengung, was der Mensch zu leisten habe. Etwa 27 und 18 zusammenzuzählen verlange eine Leistung.

Eine berühmte Testreihe habe ergeben, daß jene Menschen, die ihr System 2 geschult haben, die sich beherrschen können im weitesten Sinn, zu höheren Leistungen im späteren Leben fähig sind. Analog zu den Testreihen, wo die Lebensläufe zweier Gruppen verfolgt wurden: Bei Kindern, die vor die Wahl gestellt wurden, ob sie einen Lutscher gleich wollten, oder zehn oder fünfzehn Minuten warten müßten, dafür erhielten sie dann zwei. Die, die warten konnten, wiesen wesentlich erfolgreichere Viten auf.

Verlustangst wirkt aus sich heraus stärker, als die Chance auf Gewinn. Wer Angst vor Verlust hat ist schwer vom Gegenteil zu überzeugen.

Das Wechselspiel dieser beiden Systeme erbringe interessante Effekte. So wurde Probanden eine Zahl von 200.000 SFr. als mögliche Kaufsumme genannt. Nun sollten sie den Durchschnittspreis eines "deutschen Autos'" nennen. Anderen wurde ein möglicher Kaufpreis von 15.000 genannt, mit derselben Frage. Die erste Gruppe schätzte deutlich höher, als die zweite. Beide Gruppen wurden also still gelenkt. Dieser "Ankereffekt" wird gezielt im Marketing verwendet. Ein Handy erscheint billiger, wenn sich unter den Angeboten ein Luxusmodell angeboten findet.

Worauf es ankomme sei zu begreifen, daß wichtige oder unwichtige Entscheidungen auf die gleiche Weise getroffen würden. Die Präzision einer Entscheidung steigt nicht mit der objektiven, sachlichen Wichtigkeit. Den entscheidenden Einfluß habe vielmehr unsere Grundhaltung, etwa ob wir Vertrauen in die Welt haben, oder nicht. Jeder Mensch versucht nunmehr, eine solche Verankerung in der Welt zu erlangen - die Welt "zu vereinfachen", um fest stehen zu können. Ein Mensch, dem es nicht gelingt, in eine Situation der inneren Sicherheit zu gelangen, etwa weil er die Komplexität der Welt nicht aufs Einfache  führen kann, entscheidet völlig anders als jemand, dem das gelingt.

Das System 1, das selbständig agiert, bietet quasi die Grundlage, das Werte- und Gewichtungsschema, für das System 2, das als DenkLEISTUNG "rationalisiert".

Im Börsehandel wirken diese beiden Systeme nicht anders. Auch bei Tradern wirken ganz andere Entscheidungsgrundlagen als bloß rational orientierte Fakten. Bestimmte tieferliegende psychische Komplexe bestimmten vielmehr die dann rationalisierten Tätigkeiten. (Mit großen Unterschieden zwischen Männern und Frauen, übrigens.) Dadurch werden enorm viele (sachliche) Fehler gemacht. Schon aus dem Grund ist es viel zielführender an der Börse, nichts zu tun, als viel zu tun, weil die Mehrheit der Entscheidungen sachliche Fehler sind. Deshalb sollte man auf solchen Märkten vermutlich mehr den Maschinen vertrauen, als den Menschen.

Ein weiteres Beispiel führt Kahnemann an: Erfahrungen in England, wie man das Steuerbewußtsein heben könnte. Denn grundsätzlich denkt der Steuerzahler, mehr oder weniger, daß man ihm etwas wegnehme. Der Staat wird als Dieb empfunden. Strafandrohungen für Steuerhinterziehung hatten kaum Effekte. Aber es wirkte zu sagen, daß 54 % der Engländer ihre Steuern pünktlich ablieferten. Dass Bewußtsein einer "sozialen Norm" - im System 1 - wurde damit verstärkt, und damit stieg die Steuermoral nachweislich.

Oder: Wenn es wie in der Schweiz soziale Norm ist, Abfall nicht einfach in die Landschaft zu werfen, wirkt das in jede Einzelentscheidung hinein. Und tatsächlich bleibt das Land sauber, kaum jemand wirft etwas einfach weg.

Politische Akzeptanzen hängen deshalb maßgeblich davon ab, wie sie präsentiert werden. Menschen vertrauen eigentlich gar keinen "Fakten", sie vertrauen Personen, und daraus ergibt sich das Zutrauen in Fakten und "Rationalität". Hinter allen, wirlich allen Faktenentscheidungen stehen Haltungen und das Gefühl von Normen als Grundlage, auf denen jede Entscheidung aufruht. Die alles entscheidende Frage ist also die Sinnfrage! Nicht die nach Fakten und Details.



Teil 2 morgen) Warum Kahnemann irrt, und warum er genau deshalb pessimistisch ist




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