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Montag, 6. Mai 2013

Und was macht das Gehirn?

Diesen ausgezeichneten und anregenden Film (2h22min) finden Sie hier auf Empfehlung des Lesers J hin. Und es zeigt einen (sehr eloquent und launig gebrachten) Vortrag des Psychiaters und Psychologen, Univ. Doz. Prof. DDr. Manfred Spitzer, der sich zur Illustration einiger Beiträge der letzten Wochen in diesem Blog bestens eignet - denn die Sicht eines Neurobiologen unterlegt viele Aussagen, die sich hier finden, mit biologischen Fakten, die aus der Gehirnforschung stammen. 

Und die zeigen, in welchem Ausmaß Ergebnisse empirischer Forschung von der Deutung abhängen. Und diese Deutung ist keineswegs eine "Folge" des Gesehenen, sondern Frucht rechten Denkens, und insofern sittliche Leistung. Als Leistung rechter Philosophie. Das Dilemma der gegenwärtigen Naturwissenschaft liegt genau dort, ja liegt in ihrer Weigerung, sich der eigenen Denkvoraussetzungen gewahr zu werden. Und das macht sie über weite Strecken regelrecht irrelevant.

Der kapitale Fehler wäre, nach diesem Film bzw. solchen Erkenntnissen zu meinen, man könnte das Verhalten darauf einstellen, um Gehirntatsachen besser "nutzen" zu können. Die besten empirischen Forschungen können aus sich heraus nichts finden. Das Leben kann nicht an Methoden delegiert werden. Das, was bei solcherart vermeint gesteuertem Verhalten erzielt wird, ist lediglich die Abdrängung des wirklichen Geschehens ins Unbekannte bzw. auf andere Gebiete. Die Biologie kann nur geistig erzielte Ergebnisse kommentieren, illustrieren. Nicht aber schaffen.

"Das Gehirn lernt immer. Nicht immer aber das, was sie wollen, daß es lernt."

Und so belegt und bestätigt Spitzer auch in hohem Maß die hier oft zentrale Medienkritik, er ersetzt aber nicht die philosophische Diskussion, die die präziseren Aussagen liefert - die Empirie bestätigt (oder widerlegt) sie nur.

Spitzer bestätigt u. a., daß der Effekt der Kommunikation wesentlich von der persönlichen Involviertheit auf möglichst vielen (sinnlichen, persönlichen) Ebenen abhängt. Insbesonders umfangreiche Beschäftigung mit Medien (bzw. mit Technik überhaupt) führt zu einem Abnehmen der entsprechenden Gehirnaktivität: der Mensch verlernt regelrecht diese Tätigkeit. Die Zunahme von Wissen (im Gehirn) ist keine Frage des Volumens, sondern der aktive und selbstinduzierte Verfeinerung der Strukturen.

Speziell über die Möglichkeiten, über Internet, Bildschirm, digitale Medien "zu lernen" herrschen völlig falsche Vorstellungen. Zusammengefaßt kann man sagen, daß die Auslagerung von Informationsverarbeitung auf digitale Medien eine Verdummung der Menschen nach sich zieht.

So hat die Einführung von PCs in China zum Erstellen von Schriftstücken mit Hilfe der automatisierten Umsetzung von Lautschrift in Schriftzeichen zur unglaublichen Tatsache geführt, daß mittlerweile und bereits nach wenigen Jahren über 40 % der chinesischen Schüler gar nicht mehr selbst schreiben können.

Sprachverständnis verlangt höchste persönliche Beteiligung. Denn der Hörende muß das Gehörte (und damit auch das Gelesene) ... antizipieren. Nur dann kann er verstehen.

Was heute als Aufmerksamkeitsstörung begegnet, ist in hohem Maß auf Multitasking zurückzuführen. Ein Vergleich amerikanischer Wissenschaftler (aus 2011) stellte fest, daß der Lerneffekt bei Verfügbarkeit über Internet extrem absinkt. Denn die subjektive Erwartungshaltung an die Information läßt die Aufnahmebereitschaft gar nicht aufkommen. Ohne Vorwissen ist selbst das Googlen sinnlos. Dieses Vorwissen aber kommt nicht DURCH Google bzw. Internet. 

Auch die Erleichterung des Zugangs - durch animierte Bilder, etc. etc. - bewirkt ein Absinken des Informationsgehalts, weil der Selbstaktivitätsgrad absinkt. So hat z. B. eine Untersuchung ergeben, daß Probanden Lernaufgaben, die eigentlich schwieriger waren, besser konnten, als solche, die durch Bebilderung erleichtert waren. 

Dazu kommt die Bedeutung der Motorik, der sinnvollen, bezeichnenden, darstellenden Handbewegung. Im konkreten Versuch hieß das, daß schwierige Lernprozesse deutlich besser verliefen, wenn sie von Bewegungen begleitet waren. Die Passivität, die beim PC zwangsläufig gegeben ist, ist somit die denkbar schlechteste Lernbedingung. Die zwar technische Ablaufaufgaben automatisiert, ja scheinbar Bildschirmaufgaben leichter bewältigen läßt, und über das Schlagwort "Medienkompetenz" darauf trainiert werden - aber nichts bleibt zurück. Übersetzt: Schüler bewältigen scheinbar locker PC-Aufgaben, haben aber keine Ahnung vom "bewältigten" Lernstoff.

Spitzer präsentiert eine Untersuchung aus 2011, die zeigt, daß z. B. Mathematikfähigkeiten als Erwachsener direkt mit ... Fingerspielen im Kindergarten zusammenhängen. "Herz - Hirn - Hand" sind die Weisen des Lernens.

Je höher die Anforderungen, an die man gewöhnt ist, desto weniger anfällig ist jemand sogar für Alzheimer, das nämlich keineswegs einfach eine Erscheinung des Gehirns ist. Die physische Masse des Gehirns selbst ist nahezu irrelevant, wie sich an zahllosen Beispielen zeigen läßt: sogar nahezu ohne Gehirnmasse ist der Mensch ohne jede Beeinträchtigung leistungsfähig.. Die Bildung der geistigen Leistungsfähigkeit erfolgt analog zur Auseinandersetzung mit der Welt. Je höher das Kind in seiner Gehirnleistung steigt, je mehr es gefordert wurde (ohne überfordert zu sein, in Angst z. B. zu fallen), desto mehr zehrt es im Alter davon. Medien, zeigt Spitzer, beeinträchtigen in hohem Maß die geistige Leistungsfähigkeit der Gegenwart.

Es gibt Untersuchungen die zeigen, daß bereits 5jährige Kinder im Verhältnis zum Fernsehkonsum dramatisch in ihrer kognitiven Leistung abfallen. Und zwar selbst in Dingen, die sie "gesehen" haben müßten. Langzeitstudien in Neuseeland haben gezeigt, daß die Bildungskarriere direkt (umgekehrt) mit dem Fernsehkonsum koreliert, sich besonders bei kleinen Kindern katastrophal auswirkt.

Aber auch das Sozialverhalten wird nachweislich massiv vom Medienkonsum beeinflußt. Auch das soziale Gehirn wächst mit der Aufgabe. Die Auswirkungen von Facebook läßt also das soziale Verhalten, die Sozialfähigkeit, dramatisch zurückgehen. Facebook trainiert also nicht, wie meist behauptet, die soziale Kompetenz - im Gegenteil. Nicht zufällig ist das Internet ein Kristallisationspunkt von Verbrechen und asozialem Verhalten.

Auch Computerspiele wirken sich hoch signifikant negativ auf Lernvermögen aus. Versuche mit Playstations haben gezeigt, daß deren Verwendung signifikant Lese- und Schreibvermögen reduziert hat.

Untersuchungen haben gezeigt, daß z. B. die Verwendung von Laptops im Unterricht die Schulleistungen deutlich reduziert haben.

Und obwohl diese Fakten wissenschaftlich erarbeitet auf dem Tisch liegen, lauten die Normen der Unterrichtsministerien so, daß man regelrecht von einer Verdummungsstrategie sprechen muß. Spitzer spricht von "Anfixen" der Kinder durch staatliche Stellen. In Österreich wird sogar (verdummende) "Medienkompetenz" bereits in Kindergärten "gefördert". Unter anderem, wird dabei gelernt, Smileys zu verwenden ... Offizielle deutsche ministerielle Broschüren empfehlen Eltern, ihre Kinder in "'Schlüsselkompetenzen" zu stärken - durch Einübung in Computerspiele wie "CounterStrike" oder "Warcraft".

Spitzer führt an, daß die völlige Fehleinschätzung von Medien auf eine enorme Menge an Fehlinformation zurückgeht. Google oder Apple oder Spielehersteller kaufen längst Forschungsinstitute, um die Öffentlichkeit gezielt falsch, und im Sinne ihrer Verkaufsintentionen, zu desinformieren.

Von oben, den Ministerien her, wird durch Manipulation der Notengebung dieses aufdämmernde Bildungsdefizit vertuscht. Bildungsfördernd kann nur eine umfängliche (menschengerechte) Lebensweise wirken. Kindheit und Jugend müssen höchst reduzierten Umgang mit Medien üben.

Zum Abschluß führt Spitzer eine brandaktuelle Studie aus den USA an, in der Versuche an Mäusen gezeigt haben, daß fernsehgewöhnte Mäuse zu fernsehlosen verglichen deutliche Defizite aufweisen: weniger konzentrationsfähig, ablenkfähiger, weniger lernfähig.

Als wichtigste Sofortmaßnahme führt Spitzer an, daß die Lehrerausbildung nur direkt mit Unterrichtenden stattfinden dürfte. Unterrichtende, die nicht selbst unterrichten, sieht er als eine der Hauptursachen für die Starrheit des Systems, sodaß sich solche elementare und offenliegende Wahrheiten nicht augenblicklich umsetzen.







Nachtrag: Einen lesenswerten, inhaltlich ergänzenden Beitrag zu dem Thema, findet sich im Standard, in Form eines Interviews mit dem Philosophen Christoph Türcke. Als Universitätsdozent berichtet er, daß als Folge der Medien-Aufmerksamkeits-Unkultur Studenten nicht einmal mehr in der Lage sind, einer eineinhalbstündigen Vorlesung zu folgen, oder ein Buch zu lesen. Wer aber nicht mehr in der Lage ist, sich über bestimmte Zeit einem Thema konzentriert zu widmen, die innere Spannung selbst aufrechtzuhalten, der kann die Welt gar nicht mehr verstehen.





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