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Samstag, 11. Mai 2013

Unexaktheit (2)

Teil 2) Warum wir keine "Materie an sich" wahrnehmen können 





Ein weiterer und entscheidender Beweis, so Pálagyi, daß geistige Akte und Empfindungsprozesse unterschiedliche Akte sind, die nicht ineinander gesehen werden können - als fließende psychophysische Akte, parallel zur bloß sinnlichen Empfindungsentstehung. In diesem Beispiel: Gesichts- und Gehörswahrnehmungen können nicht im selben Augenblick stattfinden, auch wenn (einfach formuliert) die entsprechenden Nerven gleichzeitig gereizt werden.

Das zeigt sich auch darin, daß wie in der Einschätzung, welcher der beiden - Seheindruck oder das Gehörte - Sinneseindrücke früher oder später war. Darin sind wie leicht täuschbar. Nicht aber, wenn die Sinneseindrücke im selben Sinneskreis stattfinden, als nur Sehen, nur Hören. Hier bleibt es ein geistiger Akt. (Was man vom Tastempfinden nicht sagen kann: Denn wenn ich gleichzeitig an den Zehen und am Ohr gezogen werde - es sind zwei geistige Wahrnehmungsakte. Tasten ist eben räumlich bezogen, wir tragen auf unserer Haut gewissermaßen die Landkarte der Welt. Zeitdifferenzen treten auch auf, wenn z. B. beide Ohren beteiligt sind, oder beide Augen.)

Das führt aber zu weiteren Schlüssen. Denn zwei Sinnesempfindungen unterschiedlicher Art - stören einander! Sie überlagern sich (Interferenz), bleiben aber sie selbst: der eine löscht den anderen aus, artunterschiedliche Sinnesempfindungen konkurrieren miteinander. Wäre das nicht so, gäbe es gar keine Sinneswahrnehmungen, denn wir hätten es mir einem indifferenzten Empfinden zu tun.

Im gleichen Sinn gibt es unterschiedliche "Geschwindigkeiten" in der Wahrnehmung, je nach Sinn. Vom Sehen zum Hören oder umgekehrt nimmt unterschiedliche Zeiten in Anspruch. Die Pulse, in denen diese Empfindungen aufeinander wirken sind nämlich Phantasieprozesse.

Daraus folgt, daß die Begegnung mit einem Gegenstand, an dem mehrere Sinne beteiligt sind - ein Stein nähert sich und trifft uns - nur durch geistige Koordination zu "einem" Urteilsakt werden. Wären Mischempfindungen (gleichzeitig unterschiedliche Sinne fallen in einen Empfindungsakt zusammen) möglich, so würde das außerdem bedeuten, daß die Materie unmittelbar wahrnehmbar ist. Aber sie ist es nicht - sie braucht das persönliche Urteil in der Zusammenführung der Sinneseindrücke.

Sodaß klar wird, warum wir keine "Materie an sich" sinnlich wahrnehmen können. Wir können seine disparaten Eigenschaften nicht auf einmal, sondern nur hintereinander wahrnehmen. Nur ein Wesen, daß dazu in der Lage wäre, könnte "Materie an sich" als geisten Akt erfassen. Wir Menschen aber können uns davon keinen Begriff bilden.

Das hat große Bedeutung - denn damit läßt sich nicht (wie z. B. Berkeley es tut, und mit ihm die ganze Empfindungspsychologie seither) sagen, daß wir es nicht mir Dingen "an sich" zu tun haben, weil ihre Eigenschaften auseinanderfallen. Sie fallen nur in unserer Wahrnehmung auseinander. Würden sie aber nicht "Dinge an sich" sein, hätten sie keine materielle Substanz, würden sie sich nur in Empfindungen auflösen, wären sie nur als Empfindungen vorhanden, gäbe es nämlich gar keine Welt.





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