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Sonntag, 12. Mai 2013

Wissenshorizonte

Richtige Fragen stellt Jörg Friedrich in einem Artikel im European. Er bezieht sich auf die seltsame Tatsache, daß im Alltag über Dinge diskutiert wird, die überhaupt nicht im Wissenshorizont der Menschen liegen. Das bietet viel Raum für jede Form obskurer Ansichten, weil die Ansichten der Menschen auf bloßem Glauben aufruhen.

Wem aber wird geglaubt? "Der" Wissenschaft? Friedrich weist darauf hin, daß es in Wahrheit nur eine Handvoll Wissenschafter und Ingenieure sind, die die wesentlichen Interpretationshorizonte liefern. Rein wissenssoziologisch betrachtet, ist es eine aufweisbare Tatsache, daß wissenschaftliche Meinungen, die im Medienstrom als "wir wissen" auftauchen, keineswegs auf der selbständigen Forschung "tausender" (z. B.) Klimatologen beruhen. Es sind immer nur ganz ganz wenige, die die Richtungen bestimmen, in welche Thesen entwickelt, und denen gemäß nach Belegen gesucht wird - Forschung also betrieben wird.

So werden die Menschen von Hysterie zu Hysterie getrieben, einfach weil sie diesem Meinungsstrom glauben. Würden sie sich aber auf das besinnen, was in ihrem tatsächlichen Wissens- und Erkenntnishorizont liegen, könnte wenn überhaupt die Relevanz solcher Meldungen erst bewertet werden. Während über klimatologische Zusammenhänge im Laufe von Jahrhunderttausenden diskutiert wird, interessieren sich die Menschen für einfachste alltägliche Dinge schier überhaupt nicht.

Friedrich führt jüngste Beispiele an, wo anläßlich der kalten Winter über menschengemachte Klimaeinflüsse gesprochen wird, als stünde eine Zukunft bevor, in der selbst die Jahreszeiten durch menschliche Umtriebe versetzt oder ausgelöscht würden. Ob eine Eiszeit bevorsteht, oder ob die Kälte nicht auf die Wärme zurückzuführen ist, wird zum Thema von Kaffekränzchen und Biertischen, virtuell oder real. Fragt man nach einfachsten kosmischen Gegebenheiten - warum es überhaupt Jahreszeiten gibt (aus der Stellung der geneigten Erdachse zur Sonne) - herrscht schon erstaunliche Ahnungslosigkeit.

Es geht aber gar nicht um Details kosmischer oder globaler (oder quantentheoretischer) Prozesse, über die ja keineswegs gesichertes Wissen vorliegt, sondern lediglich Thesen. Es geht darum, daß im Alltag über Dinge diskutiert wird, die so fern liegen, daß gar nicht darüber geredet werden könnte, weil das Wissen dafür gar keine Basis zur Beurteilung ermöglicht. Diese Kluft, die allen Raum für Irrationales bietet, kann nur geschlossen werden, wenn die Menschen sich einmal auf das beschränken, worüber sie aus ihrer Erfahrung wirklich reden können.

Worauf Friedrich aber nicht hinweist ist der entscheidende Umstand, daß wir immer nur glauben können. Wissen kann nie mehr als subjektive Gewißheit aus subjektiver Beurteilung sein, ja in gewisser Hinsicht ist Wissen das Erkennen von bereits Gewußtem. Der Unterschied ist, daß die Menschen in diesen "großen" Fragen einem undefinierbaren "Etwas" - einer medialen Wolke, irgendwelchen Büchern oder Zeitschriften oder Internetmeldungen - glauben (wollen), und ihre alltägliche Umwelt darin "übersehen", die spielt gar keine Rolle mehr. man glaubt nicht mehr "einer Person", man glaubt einem Ersatz dafür, der macht eines konstruierten "wir" (der Wissenschaft etc.) DAS macht den Unterschied, das macht die Beurteilungsprozesse so irrational. Denn damit ist das Wesen (!) der heutigen (alltäglichen) Meinungen eine Erscheinung der Propaganda und des Massenmenschen, in jedem Fall, und kein verantworteter Meinungsbildungsprozeß mehr. Es geht um die Frage, worin eines Meinung wurzelt. In der angesprochenen Irrationalität wird Meinung zum bloßen Phänomen von Gruppenidentität, von dem her die eigene Persönlichkeitsbasis ausgehebelt weil definiert wird. Dadurch wird Meinen zum Fanatismus. Nicht durch "glauben an sich".




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