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Dienstag, 4. Juni 2013

Was Gott kostet (1)

Schleichend, so ein Artikel im Standard, hat sich in den letzten Jahren eine Totalüberwachung in Österreich eingeleitet. Nahezu 1 Mio Kameras sind im Einsatz. Und jeder dieser Einsätze ist "argumentiert", denn er muß von der Datenschutzkommission genehmigt werden. Aber die Effekte sind unter Umständen ganz anders, als man dachte, selbst im Rahmen strenger Nutzenüberlegung.

Dazu ein illustratives Beispiel: Die Wiener Linien (öffentliche Verkehrsbetriebe) haben 2006 begonnen,  nach und nach in sämtlichen Transportmitteln Videokameras zu installieren. Die Argumente dazu waren, daß ein jährlicher Schaden durch Vandalismus von 200.000 Euro sowie Tätlichkeiten auf Personal und Fahrgäste verhindert oder im Ausmaß verringert werden sollten.

Dafür wurden 3,7 Mio Euro in Ausrüstung investiert, die natürlich alle paar (etwa 8) Jahre zu erneuern ist, und zudem einen laufendem Wartungsaufwand erfordern. Darüber hinaus sind jährliche Betriebskosten (Personal für Überwachung etc.) von rund 270.000 Euro anzusetzen. 

Eine Überprüfung der Effekte, die zum Teil natürlich schwer quantifizierbar sind, ergab nun, daß weder die jährliche Schadenssumme durch Vandalismus, noch weniger Akte von Tätlichkeiten zu verzeichnen sind. Es bleibt nur noch das Argument, daß sich das "subjektive Gefühl der Sicherheit" bei den Fahrgästen erhöht habe, und daß ohne diese Überwachungsmaßnahmen die Schadensakte gestiegen wären.

Letzterer Umstand ist allerdings zweifelhaft. Denn Untersuchungen haben Interessantes ergeben: Zwar stimmt, daß ein Teil der Fahrgäste sich sicherer fühlt, wenn er sich überwacht weiß. Dem steht aber ein nicht geringerer Teil der Fahrgäste mit nicht geringem Unbehagen gegenüber, das das Wissen auslöst, sich auch selbst beobachtet zu wissen. Noch spezifischer aber ist die Tatsache, daß Fahrgäste, die einen Raum überwacht wissen, gleichzeitig den Raum selbst als unsicherer empfinden: Was notwendig hat, überwacht zu werden, kann nur unsicher sein.

Es gibt Untersuchungen aus USA, London und Paris, schon einige Jahre alt, die man auf eine interessante (aber keineswegs verwunderliche) Gesamtaussage bringen lassen: Menschen verhalten sich so, wie Plätze (Räume) "tituliert" sind. Ihr Verhalten auch im pfleglichen oder nachlässigen Umgang mit den Dingen richtet sich nach dem "Image", den der Platz hat. Wird ein Raum als "aufgegeben" erfahren, was sich darin ausdrückt, daß der Halter (Besitzer etc.) des Platzes das Eigensein des Platzes zur Disposition stellt, sinkt die Ordnung der Benützer dramatisch. Graffiti haben (und das wurde speziell untersucht) genau diese Wirkung, die Benutzer solcher Plätze/Räume verhalten sich dem Raum gegenüber deutlich nachlässiger.

Auf die Videoüberwachung übertragen heißt das, daß sie zwar allfällige Täter möglicherweise besser aufzugreifen hilft´, wobei das b8isher nicht meßbar feststellbar ist. Wobei auch das fraglich ist, weil Videoüberwachung bewirkt, daß relevante Taten in nicht-überwachte Zonen abwandern, auch das ist belegbar, in Summe aber nicht weniger werden.  Auf jeden Fall ist bekannt, daß nur bestimmte und kleinere Taten durch Abschreckung verhindert werden können. Wo der Täter das Risiko, erwischt zu werden, mit dem Wert des Diebsgutes gegenrechnet. Die eigentlich relevanten, nahezu alle schwerwiegenden Taten sind Affekthandlungen, bei denen es dem Täter gleichgültig ist, ob er dabei gefilmt wird. Und es ist auch bekannt, daß professionelle Täter (Taschendiebe) sich von Videoüberwachung NICHT abschrecken lassen. Von jenen Taten, die BEWUSZT gesetzt werden, WEIL man sich gesehen weiß, soll da noch gar nicht gesprochen werden.

Der Preis solcher Überwachung aber ist mit ziemlicher Sicherheit ein viel höherer, ja hat eine ganz andere, wesentlich größere Dimension: Der Raum selbst wird zum Nicht-Ort, zur bloßen Durchgangsstation und Funktion, seine Form wird zur Nicht-Form, sein Aussehen, die "Lebensqualität" sinkt damit dramatisch. Weil sie mit Wirklichkeit nichts mehr zu tun hat, sondern nur noch "bestimmtes", funktionsgerechtes Verhalten auferlegt.

Ein weiterer Faktor - auch er hat den Nachteil, kaum quantifizierbar zu sein - ist damit direkt kostenrelevant: Wenn der Benützer eines Raumes diesen nicht mehr als "seinen" empfindet (und das passiert unweigerlich bei Videoüberwachung, der ihm diesen Raum aus seiner Intimsphäre reißt, er HAT nicht mehr SEINE Handlungshoheit) schiebt er auch die Kosten für simples soziales Verhalten auf die Allgemeinheit. Ein generelles Phänomen, im übrigen, das noch kaum Eingang in politische Überlegungen fand: Wer den Raum nicht mehr besitzt, sieht sich auch über bestimmte Funktionsregeln hinaus menschlich nicht mehr verantwortlich. Schon kleinste zwischenmenschliche Aktionen oder Hilfeleistungen werden auf die Allgemeinheit, den Funktionserhalter abgeschoben.


Teil 2 morgen) Der nachkriechende Gott




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